Monat: Januar 2014

Grünes Paradox

Stromsparen führt offenbar zu einem immer höheren Energieverbrauch. Wie sonst ist zu erklären, dass gerade in den vergangenen Jahren der jährliche CO2-Ausstoß in Deutschland, in Europa und vor allem weltweit dramatisch angestiegen ist – trotz milliardenschwerer Investitionen in grüne Technologien in Deutschland, Europa, den USA, China, Korea oder Brasilien? Obwohl überall neue Solardächer und Windmühlen spießen, werden gleichzeitig immer mehr Kohlekraftwerke gebaut – in China eins pro Woche⁠1.

Auch in Deutschland wurde in den vergangenen 23 Jahren nie so viel Kohle, v.a. Braunkohle in Strom verwandelt, wie im vergangenen Jahr. »Die Energiewende ist eine Kohlewende«⁠2, schrieb die »Tageszeitung« denn auch schon. Kohle ist billig und die Ressourcen sind schier unerschöpflich im Vergleich zur endlichen Kapazität der Atmosphärendeponie für CO2. Kohle, Öl und Gas bestehen vornehmlich aus Kohlenstoff. Werden diese fossilen Brennstoffe verbrannt, entsteht das Treibhausgas Kohlendioxid CO2. Es gibt noch zahlreiche andere Treibhausgase, aber es ist der vom Menschen verbrannte Kohlenstoff aus den Tiefen der Erde, der in erster Linie den Treibhauseffekt antreibt. Das CO2 ist auch der Stoff, den die Menschheit am einfachsten kontrollieren könnte.

In Deutschland will sich die Bundesregierung zwar dafür einsetzen, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken, aber schon jetzt scheint klar, dass das Ziel wohl eine Illusion ist, wie das Internationale Wirtschaftsforum Regenerative Energien meint.⁠3 

Unbequeme Wahrheit

Warum das so ist, präsentierte ausgerechnet der neoliberale Wirtschaftswissenschaftler Hans-Werner Sinn, Präsident des IFO Instituts für Wirtschaftsforschung in München in seinem Vortrag »Energiewende ins Nichts«⁠4 am 16. Dezember an der Universität München. 

Es kritisierte, dass sich die energiepolitischen Aktivitäten in Deutschland sich vor allem auf die elektrische Energie konzentrieren würden, die aber gerade einmal knapp 21 Prozent des Endenergieverbrauchs ausmacht. Für die Vermeidung von Kohlendioxid aus fossilen Energieträgern von über 84 Prozent gebe es aber keine überzeugenden Konzepte.

Denn ausschließlich auf Öl, Kohle und Gas basierten industrielle Prozesswärme mit über 19 Prozent, Raumwärme und Warmwasser mit über 26 Prozent und der Autoverkehr mit fast 27 Prozent. Strom aus Kohle und Erdgas machen gerade einmal 12,4 Prozent aus – eine Größenordnung die sich in Zukunft in der Tat relativ leicht durch regenerative Energien ersetzen lassen könne. Die vielen Millionen Quadratmeter Solarpanele in Deutschland lieferten aber gerade einmal 1 Prozent der Endenergie, die an etwa 24.000 Windkraftanlagen⁠5 1,8 Prozent. Biomasse, Abfallverbrennung und Wasserkraft steuern noch einmal magere 2,3 Prozent bei.

Für Sinn stellt der Klimawandel die größte Herausforderung für das Überleben der Menschheit dar. Er zeigte in seinem Vortrag nur auf, wie die Lage ist und drang darauf, über blindem Aktionismus, für den er auch das Erneuerbare-Energie-Gesetz hält, nicht die ganz großen und entscheidenden Kohlendioxidschleudern zu vergessen. Einen Lösungsvorschlag blieb er in seinem Vortrag aber schuldig.

Die Atmosphäre gehört den Besitzern der fossilen Energieressourcen

Ein Lösungsansatz hat er allerdings bereits in seinem Buch »Das grüne Paradoxon«⁠6 von 2008 entwickelt, das 2012 revidiert neu erschien. Die Fakten, die er darin seiner Lösung zu Grunde legte, bezweifelt niemand. Nur die Lösung, auf die er dann kommt, wird von Umweltverbänden und den Klimawissenschaften nahestehenden Wirtschaftswissenschaftlern kritisiert.

Es ist fast eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet ein neoliberaler Wirtschaftswissenschaftler Energiepolitiker und Energiewende-Aktivisten darauf hinweisen muss, dass die Verbraucher von Energie gar nicht die Macht haben, das Ruder herumzureißen. In seinem Buch zeigte er auf, dass es die Besitzer vor Öl- und Gasquellen und der Kohlebergwerke seien, die die Atmosphäre beherrschen, die Deponie für immer mehr Kohlendioxid. Sinn lenkt deshalb die Aufmerksamkeit auf die Angebotsseite bei den Diskussionen um den Klimaschutz, die bisher völlig vernachlässigt wurde.

Ottmar Edenhofer und Matthias Kalkuhl, zwei Ökonomen des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung PIK, haben sich in einem Aufsatz mit dem Titel »Das ›Grüne Paradoxon‹ – Menetekel oder Prognose?«⁠7 gründlich mit Sinns Überlegungen auseinandergesetzt. Edenhofer ist auch Chefökonom und Vorsitzender der Arbeitsgruppe III des Weltklimarates.

Das Angebot verändert das Klima

Die beiden sind überzeugt: »Mit einseitiger Nachfragepolitik wie dem Verbot von Glühbirnen, der Einführung effizienterer Kühlschränke und auch dem Drei-Liter-Auto wird Klimapolitik scheitern: Müssen die Ölscheichs und Kohlebarone damit rechnen, dass sie in Zukunft weniger auf dem Weltmarkt verkaufen können, werden sie ihr Öl und ihre Kohle nur noch schneller aus dem Boden holen.« Die dann noch erzielbaren, durchaus geringeren Profite, könnten sie dann nämlich in Investitionen lenken, die höhere Renditen versprechen, als Öl, Gas und Kohle, deren Förderung in absehbarer Zeit vielleicht ganz eingestellt werden müsste. »Mit diesem Paradoxon scheinen zunächst alle bisherigen politischen (und individuellen) Bemühungen um ein stabiles Klima in Frage gestellt und die Lösung des Klimaproblems schier unvorstellbar«, schreiben die beiden Klimaökonomen weiter.

Länder, die sich energieeffiziente Techniken und Anlagen zum Einsammeln der verstreut auftretenden regenerativen Energien nicht leisten können, werden zugreifen und noch viel stärker auf fossile Energiequellen setzen.

Die Atmosphäre ist aber eine endliche Deponie für CO2 – jedenfalls wenn die Menschheit mit noch moderaten Wetterkapriolen überleben will. Jedes CO2-Molekül erhöht die Konzentration in der Atmosphäre und im Meer. Dort bleibt es für die nächsten Jahrhunderte, bevor es durch geochemische und biologische Prozesse wieder aufgenommen wird. Demgegenüber sind die Vorräte an fossilen Kohlenwasserstoffen jedoch schier unendlich. Würden sie in kurzer Zeit völlig ausgebeutet, würde so viel Kohlendioxid in die Luft gelangen und die Erde erwärmen, dass sie sich schon bald eine heiße Wüste verwandeln könnte.

Quellensteuer

Obwohl Sinn als Neoliberaler sich vehement gegen jegliche politische Marktregelungen wehrt, sieht er nur drei Möglichkeiten der Klimarettung: die fossilen Lagerstätten versiegeln, ein weltweites Emissionshandelssystem oder eine Quellensteuer einführen.

Er bevorzugt eine Quellensteuer auf die Profite aus der Öl-, Gas- und Kohleförderung, weil die Versiegelung der Lagerstätten nicht ohne Kriege ablaufen würde. Sie lasse sich relativ schnell verwirklichen. Denn nach seiner Ansicht seien internationale Übereinkommen zum Emissionshandel unrealistisch. Die gescheiterte Klimakonferenz in Warschau im November 2013 scheint ihm in dieser Hinsicht recht zu geben.

Edenhofer und Kalkuhl erkennen an, dass Sinn mit seiner Analyse der Angebotsdynamik einen neuen Aspekt ins Spiel gebracht hat, der bisher so noch nicht betrachtet wurde. Auch stimmen sie mit ihm überein, dass die derzeitige »grüne« Politik der Bundesregierung und der EU dazu führt, »dass die Ressourcen schneller gefördert werden als dies effizient wäre und damit den Klimawandel beschleunigen«.

Globaler Kohlenstoffmarkt

Doch anders als Sinn sehen sie durchaus eine Lösung in der Durchsetzung eines weltweiten Emissionshandels, also in einem globalen Kohlenstoffmarkt. 

Der solle aber in Form eines Nachfragekartells sehr schnell verabredet werden und spätestens ab 2020 wirksam werden. Das sei durchaus eine politische Mammutaufgabe, aber nicht unmöglich. Alles stehe und falle mit einem globalen Klimaabkommen, das den Besitzern der fossilen Rohstoffe die Profite kürzt, um der Weltbevölkerung die Eigentumsrechte über die Atmosphäre wieder zurückzugeben.

Bäumepflanzen ändert kaum etwas

Skeptisch sehen die PIK-Wissenschaftler auch Sinns Forderung nach einer Aufforstung von Wäldern und dem Erhalt von Urwäldern. Das könne zwar eine sinnvolle Ergänzung zum Emissionshandel sein, aber bisher waren internationale Waldabkommen deshalb erfolglos, weil die beteiligten Länder weder die Eigentumsrechte noch die Überwachung garantieren konnten. Hinzu komme, dass ausgewachsene Wälder die CO2-Bilanz kaum beeinflussen. Aufforstungen hätten also nur einen kurzzeitigen Effekt während der Wachstumsphase und könnten das CO2 aus der Verbrennung fossiler Energieträger nicht dauerhaft aufnehmen.

Emissionshandel plus Technologie

Edenhofer und Kalkuhl ist genauso klar wie Sinn, dass Nachfragekartelle nicht besonders stabil sind. Es bestehe immer die Gefahr, dass ein Land wieder aus dem Vertragswerk ausscheide.

Wenn man allerdings die Technologie- und Innovationspolitik der reichen Länder mit dem Emissionshandel verbinde, so die PIK-Ökonomen, könne es klappen. Von neuen Effizienztechnologien und Innovationen sollten dann nur noch diejenigen Länder profitieren, die sich an der Verminderung der Emissionen beteiligen. Die anderen würden Gefahr laufen, technologisch in ihrer Entwicklung zurückzubleiben. Sie würden sich deshalb bemühen, einem solchen Kartell ebenfalls beizutreten.

Das Resümee der PIK-Ökonomen: Gelänge es nicht, den Emissionshandel in Verbindung mit einer aktiven Technologiepolitik global zu verwirklichen »wird die Klimapolitik scheitern. Eine illusionslose Klimapolitik mag schwierig und visionär sein, aber sie ist nicht aussichtslos. Das Grüne Paradoxon ist ein Menetekel und keine Prognose. Als Warnung ist es wichtig, als Prognose wäre es selbsterfüllend«.

Was kann jeder tun?

Es kann einem in der Tat schwindelig werden, wenn man ein paar Schritte zurücktritt, um sich das große Ganze anzuschauen. Vor dem globalen Hintergrund erscheinen die eigenen Anstrengungen, Strom zu sparen, weniger Auto zu fahren oder sich Solarzellen aufs Dach zu pflanzen entsetzlich unwichtig. Selbst wenn man 100 Millionen Gleichgesinnte um sich scharen könnte, sind sie verschwindend gering angesichts der Dimensionen um die es beim Klimaschutz geht – vor allem wenn man weiß, dass Deutschland mit seinen Anstrengungen für eine grünere Zukunft international fast alleine dasteht.

Neben einem klimaangepassten, eigenen Lebensstil ist es deshalb wichtiger denn je, sich politisch zu engagieren, sich zu empören und aufzustehen. Ob dabei die Parteien in parlamentarischen Demokratien die richtigen Partner sind, ist fraglich. Ohne weltweit agierende Umweltlobbys wird es nicht gehen, auch wenn die etablierten NGOs sich ebenfalls zunehmend in gefährliche Nähe zur Lobby der Besitzer fossiler Energien begeben. Eine alternative gibt es nicht.


1. Sinn, Hans-Werner (2013): Energiewende ins Nichts. Vortrag an der Universität München, 2013-12-16 http://mediathek.cesifo-group.de/player/macros/_v_f_750_de_512_288/_s_ifo/_x_s-764870657/ifo/index.html

2. Tageszeitung (2014-01-07): Strom aus Braunkohle – Höchste Produktion seit 1990 http://m.taz.de/Strom-aus-Braunkohle/!130520;m/

3. Internationales Wirtschaftsforum Regenerative Energien (2013-12-04): Klimaschutzziele in Deutschland bis 2020 nicht zu erreichen. Pressemeldung http://www.iwrpressedienst.de/Textausgabe.php?id=4641

4. Sinn, Hans-Werner (2013): Energiewende ins Nichts. Vortrag an der Universität München, 2013-12-16 http://mediathek.cesifo-group.de/player/macros/_v_f_750_de_512_288/_s_ifo/_x_s-764870657/ifo/index.html

5. Statista (2013). Anzahl der Onshore-Windkraftanlagen http://de.statista.com/statistik/daten/studie/20116/umfrage/anzahl-der-windkraftanlagen-in-deutschland-seit-1993/

6. Sinn, Hans-Werner (2008, revidierte Neuauflage 2012): Das grüne Paradoxon: Plädoyer für eine illusionsfreie Klimapolitik. Econ Verlag, 2008, ISBN 978-3-430-20062-2 und Ullstein Taschenbuch, 2012, ISBN 978-3-548-37396-6. Kurzfassung als PDF: Ifo Working Paper No. 54: Das grüne Paradoxon: Warum man das Angebot bei der Klimapolitik nicht vergessen darf http://ideas.repec.org/p/ces/ifowps/_54.html

7. Edenhofer, Ottmar; Matthias Kalkuhl (2009) Das ›Grüne Paradoxon‹ – Menetekel oder Prognose? http://www.pik-potsdam.de/members/edenh/publications-1/edenhofer_kalkuhl_gruenes-paradoxon


Zuerst erschienen bei think-eco.org (offline) am 2014-01-07

Das Netz: Inpol, NSA, GCQH

Zeichnung: Überwachung

Vertrauen ist schlecht, Überwachung ist besser. Bild: Bosmecspud/Wikimedia-Commons

Das deutsche Bundeskriminalamt BKA war bereits in den 70er Jahren weltweit führend im Ausspionieren von Bürgern und lieferte so sicherlich eine Blaupause für andere Schnüffeldienste wie die US-Behörde NSA und deren britisches Pendant GCQH.

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