Kategorie: Deutsch

Buch: Das nackte Gehirn

Mario Markus: Das nackte Gehirn © Theiss-Verlag

Erscheint »Gehirn« auf einem Buchtitel, kann man sicher sein, dass sich Esoteriker, Psycho-Laien und Selbstoptimierer begierig auf den Klappentext stürzen. Versprechen solche Bücher doch meist Hilfe zu Selbsterkenntnis und Eigentherapie. Genau diese Leserschaft scheint das Buch »Das nackte Gehirn – Wie Neurotechnik unser Leben revolutioniert« von Mario Markus auf den ersten Blick auch anzusprechen. Aber Achtung: Klappentext und Einleitung sind Honigtöpfe.

Honigtopf (honeypot)

Gedankenlesen, Telekinese und Telepathie seien nämlich »zu wissenschaftlich anerkannten, reproduzierbaren und teilweise sehr nützlichen Techniken« geworden, heißt es gleich im ersten Absatz des Einführungskapitels. Ein Satz, der Ahnungslose anlocken kann, die dann in ein Thema hineingezogen werden, mit dem sie nicht gerechnet haben – eben ein Honigtopf.

Genau deshalb sollte man das Buch eigentlich gar nicht öffentlich besprechen. Parapsychologen und Esoteriker könnten gewarnt werden, weil die Buchbesprechung auch benennen muss, dass hier die wissenschaftliche Wirklichkeit beschrieben wird. Doch zumindest aus der ersten Hälfte könnten sich wissenschaftlich belegte Informationen ziehen, die sich in einen Brei aus Halbwissen und Fehlschlüssen integrieren lassen. Zwar stellt Markus gleich sehr früh klar, dass Parapsychologie halt mal klappt und mal nicht, dass die Versuche in der Regel nicht reproduzierbar sind, aber er zitiert dann auch eine wissenschaftliche Statistik, nach der sich das parapsychologische Für und Wider die Waage halten.

Was Neurotechniker sehen können

Bis zur Buchmitte zählt der Autor nahezu alle Phänomene auf, die Hirnforscher und Mediziner in den vergangenen Jahren mit Hilfe von EEG, fMRT und anderen Messtechniken herausgefunden haben. Die Funktionsweise dieser Techniken erklärt er ausführlich und verständlich im Anhang des Buches: Mit dem EEG, dem Elektroenzephalogramm, messen Forscher elektrische Gehirnströme, mit der fMRT, der funktionellen Magnetresonanztomographie, physiologische Hirnfunktionen in einem Magnetfeld, durch das aktive Hirnareale sichtbar werden.

Sind Hetero- und Homosexualität, Pädophilie, Mitgefühl und Hass, Lust am Töten oder Rassismus im Gehirn messbar? Markus hat sich durch die wissenschaftliche Literatur gelesen und alles an aufdeckenden Untersuchungen zusammengestellt, von denen Menschen eigentlich glauben, es seien ihre ureigenen, privaten, oft tief vergrabenen Emotionen, logischen Entscheidungswege und individuellen Charaktereigenschaften. Mit den vorgestellten Techniken lässt sich aber viel mehr sichtbar machen, als mancher denkt. Die Kapitel sind hinreichend kurz, in denen er die Methoden der Entdeckung und deren Überprüfungen enzyklopädisch darstellt und am Ende in einem Fazit zusammenfasst.

Der Autor

Mario Markus ist Physiker und forschte lange Zeit am Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie in Dortmund. Für das Buch hat er zahlreiche, aktuelle Wissenschaftsveröffentlichungen ausgewertet. Auch wenn er kein Experte in Sachen Gehirnforschung und auch kein Wissenschaftsjournalist ist, kann man darauf vertrauen, dass er die Aussagekraft der wissenschaftlichen Literatur richtig beurteilt hat.

Telekinese nur mit Technik

In der zweiten Hälfte des Buches greift Markus dann tatsächlich das scheinbar Paranormale auf. Da geht es um Telekinese, das Lenken von Rollstühlen mit Gedanken, ja, sogar um die Gedankenübertragung von Gehirn zu Gehirn. Doch mystisch ist das alles nicht, denn ohne Kabel, Computerchips und -programme funktioniert es nicht. Damit nicht genug. Er beschreibt auch, wie viel mühevolle Übung und Zeit computerbasierte Telekinese eben doch erfordert, um klappen. Spätestens hier werden Esoteriker und Anhänger des Paranormalen furchtbar enttäuscht.

Dass man mit diesen Techniken natürlich auch das Gehirn manipulieren kann, darauf geht Markus gegen Ende des Buches ein, wo er sowohl Gehirndoping als auch die Behandlung von Hirnkrankheiten, wie Parkinson beschreibt. Das sind Anwendungen, auf die er auch in einem Ethik-Kapitel vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Normen und Urteile eingeht.

Nur ein Teil der Gehirnforschung

Wie es im Untertitel heißt, beschreibt das Buch ausschließlich Neurotechniken. Es wäre wünschenswert gewesen, diese Techniken in einem kurzen Kapitel in den großen Zusammenhang des gesamten Wissenschaftsfeldes der Gehirnforschung zu stellen. Beispielweise, wie neurotechnisch gewonnene Erkenntnisse sich in biologische Untersuchungen und Experimente auf Organ- und Zellebene, Genetik und Evolution einordnen lassen.

Sprache

Mario Markus ist nicht nur Wissenschaftler. Er hat sich immer auch im Brückenbau zwischen Kunst und Wissenschaft engagiert, beispielsweise indem er selbst Computergrafiken veröffentlichte. Aber er hat auch einen Namen als Romanautor und Lyriker in seiner Muttersprache Spanisch. Leider spiegelt sich diese Sprachbegabung nicht in dem diesem Buch wider. Andererseits schreibt er auch nicht wissenschaftlich hochgestochen, so dass der Text sehr gut für ein breites Publikum geeignet ist.

Fazit

Eine umfassende, enzyklopädische und gut lesbare Zusammenstellung der beschreibenden und experimentellen Neurotechnik, – vor allem geeignet für neugierige Realisten.


Markus, Mario (2016): Das nackte Gehirn – Wie die Neurotechnik unser Leben revolutioniert. Theiss-Verlag. Hardcover ISBN: 9783806232783, eBook PDF ISBN:9783806233230, eBook EBUB ISBN:9783806233247

Ganz normale Menschen

Manche Menschen können gut und laut reden, treffen schnell Entscheidungen und bewegen sich eloquent auf Parties und Konferenzen. Das sind die Extravertierten. Manch andere Menschen halten sich zurück, bleiben im Hintergrund, beobachten, durchdenken und reflektieren. Das sind die Introvertierten und Hochsensiblen, die Korrektive der Macher. Warum das aber nicht wirklich wichtig ist.

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Hochsensibilität ist nicht ansteckend. Es ist nicht einmal eine Krankheit. Im Gegenteil: So genannte hochsensible Menschen fühlen sich eigentlich ganz wohl in ihrer Haut – falls sie nicht noch zusätzlich wirklich ernsthafte Macken mit sich herumschleppen. Dennoch haben ihre Ratgeberforen Hochkonjunktur, und professionelle wie selbst ernannte Coaches, Karriere- und Unternehmensberater wittern einen profitablen Markt. Als sei Hochsensibilität eine Behinderung oder chronische Krankheit, bieten sie beispielsweise Kurse zum Thema „Hochsensibel glücklich leben“ zu Preisen zwischen 270 und 565 Euro an.

Hochsensible gelten als zurückgezogen, in sich gekehrt, ja sogar schüchtern. Menschenansammlungen vermeiden sie, bei Teamsitzungen und auf Parties halten sie sich im Hintergrund. Gehen sie dann doch einmal aus sich heraus, wirken sie oft als arrogant, überheblich, abgehoben oder belehrend. Manch einem erscheinen sie tiefgründig und rätselhaft. Braucht aber jemand eine emotionale Stütze, so entpuppen sie sich auch als empathische Zuhörer.

So ungefähr lautet die Aufschrift auf der populärpsychologischen Schublade für Hochsensible. Es sind also ganz normale Menschen. Denn irgendwann hat jeder mal das Bedürfnis, sich zurück zu ziehen, eine langweilige Teamsitzung an sich vorüber rauschen zu lassen oder sich mit Arroganz einer nervigen Diskussion zu entziehen. Im Gegenzug können auch stille Menschen zu kommunikativer Höchstform auflaufen.

Psychologie

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Weil Hochsensibilität für das alltägliche Zusammenleben kaum eine Rolle spielt, interessieren sich nur wenige Forscher dafür, es sei denn sie können damit wissenschaftliche Sporen verdienen, etwa indem sie Beweise dafür finden, dass alle Menschen anders sind.

Warum Hochsensible so sind und ob sie so sind, wie sie scheinen, ist wissenschaftlich denn auch umstritten. Fest steht jedoch, dass es Menschen gibt, die Reize intensiver aus der Umwelt aufnehmen als andere – bis zu 300 Mal stärker als die 70 bis 85 Prozent der übrigen Menschheit. Dazu gehören auch die inneren Reize, wie Gedanken oder Gefühle, die sie deutlicher wahrnehmen und lange und gründlich reflektieren. Der Grund sind individuelle Filter im Kopf, die bei einigen Gehirnen für unwichtig gehaltene Informationen blockieren, bei anderen durchlassen. Je mehr Informationen durchkommen, desto schneller ist der Hirnspeicher voll, desto mehr Zeit und Ruhe brauchen die Hirnzellen, um die Menge und Vielfalt der Datenmenge zu verarbeiten. Als Konsequenz brauchen solche Menschen viel Zeit, um etwas zu entscheiden. Haben sie sich aber zu einem Entschluss durchgerungen, ist die Lösung in der Regel perfekt, gewissenhaft und ethisch durchdacht. Sie selbst würden sie aber wohl als Bauchgefühl bezeichnen.

Menschen mit einem solch durchlässigen Filter nehmen bei ihren Mitmenschen besonders viele, auch unbewusste Botschaften wahr, so dass bei der facettenreichen Fülle der einströmenden Eindrücke im Gehirn nur wenig Platz für enge Freunde bleibt. Bei der Masse an Signalen, die bei zwischenmenschlichen Konflikten ausgetauscht werden, kommt es bei ihnen schnell zur Überstimulation der Nervenzellen. Kein Wunder, dass sie Auseinandersetzungen meiden und so als harmoniebedürftig gelten. Auch mit ausgeprägten Alltagsroutinen vermeiden sie eine übermäßige Hirnstimulation, damit ihnen mehr Zeit, Raum und Energie zum kreativen Denken bleibt.

Dieses Sammelsurium beschreibt nur einen Teil dessen, was in populärwissenschaftlichen Online- und Offline-Traktaten gehandelt wird. Es gibt eben kein Diagnose- oder Testverfahren für Hochsensibilität. Das liegt auch daran, dass die neurowissenschaftliche Datengrundlage recht dünn ist – ein Problem vieler psychologischer Hypothesen.

Neurologie

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Die Psychologin Elaine Aron führte den Begriff 1997 als „sensory-processing sensitivity“ in die Persönlichkeitspsychologie ein. Zusammen mit ihrem Mann untersuchte sie zwar inzwischen Hunderte von Probanden, schien dabei aber nicht besonders repräsentativ vorgegangen zu sein. 

Nichtsdestotrotz sind inzwischen auch neurowissenschaftliche Grundlagenforscher dabei, sich dieser Variation menschlicher Persönlichkeitsstrukturen anzunehmen. Sowohl die Beobachtung von Kleinkindern, wie auch Genanalysen legen in der Tat nahe, dass die Ausprägungen der Hochsensibilität offenbar stark in den Genen begründet ist. Das belegen auch Beobachtungen an zahlreichen Tierarten, unter denen es immer Individuen gibt, die sich zurückhaltend und vorsichtig verhalten, und dann intuitiv ihre Gruppe vor Gefahren warnen oder sie zu übersehenen Wasserlöchern führen.

So interessant diese Forschungsergebnisse sind, mit der Einordnung tun sich die Wissenschaftler schwer. Denn möglicherweise ist Hochsensibilität ja auch nur der Unterfall eines ganz anderen psychologischen Phänomens oder ein Gemisch verschiedener Komponenten des verbreiteten psychologischen Persönlichkeitsmodells, das Big Five genannt wird.

Big Five

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Die Big Five sind fünf Persönlichkeitskategorien, die sich zwei Grundmerkmalen zuordnen lassen. Zur so genannten Plastizität einer Persönlichkeit gehören die beiden Kategorien Extraversion/Introversion und Offenheit für Neues. Zur so genannten Stabilität die drei Kategorien emotionale Ausgeglichenheit, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit.

Praktischerweise lassen sich die beiden übergeordneten Merkmale auch den beiden wichtigsten Schaltkreisen im Gehirn zuordnen, dem Serotonin- und dem Dopaminpfad. Der Botenstoff Serotonin hält das Innenleben stabil und wirkt eher hemmend. Das Dopamin dagegen gilt als Glückshormon. Bei starker Ausschüttung kurbelt es den Erkundungsdrang an, der Mensch ist auf Abenteuer aus, um sein Glück zu finden. Lässt die Menge dieses Hormons nach, ist der Mensch auch mit wenig glücklich – und seien es die eigenen Gedanken, denen der nachhängen kann.

Die Mischung und unterschiedliche Ausprägung dieser fünf Persönlichkeitsaspekte als Teile der beiden Grundmodelle Stabilität und Plastizität kann zwar im Groben viele Charakterzüge von Persönlichkeiten erklären, reicht aber bei weitem nicht aus, die vielfältige Einzigartigkeit von Menschen wirklich zu beschreiben.

Introversion

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Interessanterweise hat sich die populärpsychologische Szene aus diesem Charakterquintett die Extraversion-Introversion-Pole herausgenommen und den introversen Pol mit ähnlichen, teilweise denselben Attributen besetzt, wie sie für Hochsensibilität kursieren. Der Grund ist das erfolgreiche Selbstfindungsbuch der einstigen Rechtsanwältin Susan Cain mit dem Titel „Still: Die Kraft der Introvertierten“. Sie baut dabei auf eher historische Überlegungen zu extravertierten und introvertierten Charaktermodellen auf. Ihr Fehler ist, Introversion als geschlossenes Charakterbild zu sehen und zu ignorieren, dass bestimmte Eigenschaften, die sie Introvertierten zuschreibt, auch für andere Profile des Big-Five-Modells gelten. Beispielweise kann der Drang Introvertierter, sich zurückzuziehen, auch zur Big-Five-Eigenschaft der emotionalen Ausgeglichenheit gehören, die dem Stabilitätsstrang zuzuordnen ist. Die Extraversion-Introversion-Schaukel gehört dagegen zum Plastizitätsstrang.

Jeder ist anders

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Die Entdeckung des Hochsensiblen und Introvertierten hat an sich wenig praktische Bedeutung. Es sind eben Persönlichkeitsausprägungen, wie andere auch, wie Langschläfer und Nachtarbeiter, extravertierte Macher, kauzige Nörgler, Rechts- und Linkshänder, Naturliebhaber und Technikfreaks.

Neu ist, dass die Ratgeberindustrie Hochsensible und Introvertierte als Kunden entdeckt hat, ihnen aber einzureden versucht, dass sie ein Problem haben. Das haben sie aber meist nicht, obwohl sich viele der so Einsortierten sicherlich öfter mal eine Anerkennung für ihr reflektiertes Engagement wünschen. Die meisten fühlen sich in ihrer selbst gewählten Zurückhaltung ganz wohl, auch wenn sie manchmal glauben, auf einem anderen Stern zu leben angesichts der Leichtfertigkeit, Kurzsichtigkeit und Hektik, mit denen viele wirtschaftliche und politische Entscheidungen getroffen werden.


Wieviel bist du von andern unterschieden?
Erkenne dich, leb mit der Welt in Frieden!

Aus dem Gedicht „Zueignung“ von Johann Wolfgang Goethe


Weiter lesen:


Bild: Ranveig/Commons.Wikimedia/CC BY-SA 3.0

Skagerrak – Europas Mülltonne

Schwedische Küstenforscher schlagen Müll-Alarm. 20.000 Müllteile pro hundert Meter Strandlinie: Seit drei Jahren türmt sich an Schwedens und Norwegens Westküsten immer mehr Müll.

Noch um die Jahrtausendwende zählten die Forscher nur 1.000 bis 1.200 Müllteile auf hundert Metern, wie Per Nilsson von der Universität Göteborg am 18. April 2016 gegenüber dem schwedischen Fernsehen SVT Väst erklärte[1].

Bis zu 96 Prozent der Müllflut ist Plastik – und damit eine tödliche Gefahr für Meerestiere und Vögel. Denn sie verwechseln die Plastikteile mit Nahrung und verhungern mitunter bei vollem Magen. Schlimmer noch: Meereswellen zerreiben die Kunststoffe zu winzigen Partikeln, die sogar von mikroskopisch kleinen Krebstieren gefressen werden, die ziemlich am Anfang der marinen Nahrungsketten stehen und die Grundnahrung für Fische sind.

„Ob das jetzt ein zufälliger Anstieg oder ob es ein langfristiger Trend ist, wissen wir nicht. Aber wir sind beunruhigt,“ sagte Per Nilsson im Fernsehen. „Bohuslän, die Landschaft nördlich von Göteborg, ist eines der Gebiete, das in Europa das größte Problem hat. Hier finden wir den meisten Müll unter allen Küsten am Nordatlantik.“

Mit gerade einmal 236 Müllteilen auf 100 Meter Nordseestrand[2] oder gar nur 60 Teilen auf 100 Meter Ostseestrand[3] erscheinen die deutschen Küsten geradezu sauber. Aber nur deshalb, weil Meeresströmungen den größten Teil des Unrats von den englischen und kontinentaleuropäischen Küsten genau ins Skagerrak spülen, wo inzwischen ein ausgedehnter Müllwirbel rotiert.

Reise des Meeresmülls

Reise des Meeresmülls

In der Nordsee dreht sich nämlich die Strömung wie ein großer Kreisel gegen den Uhrzeigersinn vom Atlantik, entlang der englischen, belgischen, niederländischen, deutschen und dänischen Küsten bis hinein ins Skagerrak. Zusätzlich fängt der Strudel auch den Abfall aus der Strömung ein, die die Ostsee entlang der schwedischen Westküste verlässt. So ist es zu erklären, dass 80 Prozent des Mülls aus den nicht-skandinavischen Nord- und Ostsee-Anrainerstaaten stammen, auch aus Deutschland.

Neu ist das für Experten nicht. Neu ist die schnelle Zunahme. Erstmals berichtete vor genau drei Jahren das norwegische Fernsehen über eine besorgniserregende Beobachtung von Liv-Marit Hansen, einer Mitarbeiterin des Oslofjord-Freizeit-Rates. Bei einer einmaligen Sammelaktion an den Ufern des Schären-Nationalparks Hvaler am östlichen Eingang des Oslofjords zählte sie schon damals mehr als 20.000 Müllteile auf hundert Meter[4] – Müll der nicht aus Norwegen stammt. Aber die EU-Küstenanrainer, zu denen Norwegen nicht gehört, beginnen erst jetzt, acht Jahre nach Inkrafttreten der Europäischen Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie[5], Maßnahmen zu ergreifen, um der Meeresvermüllung Einhalt zu gebieten[6]. Doch es scheint fraglich, ob sich das Ziel erreichen lässt, in den nächsten vier Jahren die EU-Müllmengen so weit zu reduzieren, dass sie keine Gefahr mehr für Meereslebewesen und -ökosysteme darstellen.


[1] http://www.svt.se/nyheter/lokalt/vast/vastkusten-skrapigast-i-hela-europa

[2] http://www.umweltbundesamt.de/service/uba-fragen/was-ist-ueber-die-belastungssituation-der-deutschen

[3] http://www.regierung-mv.de/serviceassistent/_php/download.php?datei_id=1570123

[4] http://www.nrk.no/ostfold/mer-soppel-langs-kysten-1.10988284

[5] http://www.meeresschutz.info

[6] http://norden.diva-portal.org/smash/get/diva2:824655/FULLTEXT01.pdf


Karte: Wikimedia Commons. Halava using GRASS GIS, Inkscape and GIMP. Verändert vom Autor.

Impressionen aus dem südlichen Afrika

Bilder von einer Reise durch Mosambique, Simbabwe, Sambia und Namibia.



Diashow (Länge 12:30 Minuten)


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Ausbooten vor Inhaca, Mosambik

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Meeresbiologisches Forschungsinstitut auf Inhaca, Mosambik

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Snack Bar Marujo am Strand von Inhaca

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Bau einer Mbira, eines traditionellen Musikinstruments, in Maputo, Mosambik

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Jam-Session in Maputo, Mosambik

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Der Zug von Bulawayo nach Victoria Falls, Simbabwe

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Victoria-Fälle von Simbabwe aus

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Victoria-Fälle von Sambia aus

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Great Zimbabwe: Königssitz und „Palast“

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Ruinen von Great Zimbabwe

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Eingang in die große Ringmauer von Great Zimbabwe

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Rhino am Wasserloch in Etosha, Namibia

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Etosha, Namibia

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Dekoration an einer Tankstelle in Solitaire, Namibia

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Dekoration des Campingplatzes Garaspark, Namibia

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Unterwegs

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Bahnhof Garub, Namibia

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Krankenzimmer des Hospitals der Geisterstadt Kolmanskop, Namibia

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Namib-Dühnen um Death Vlie, Namibia




Lied gesungen von Teilnehmern eines Lese- und Schreiblernkurses in Thokoza, Südafrika (Länge 03:11 Minuten)


Bilder: Marlene Stadie (www.marlene-stadie.de), Hanns-J. Neubert

»Zukunftsstadt«:
Antworten ohne Fragen
Das Wissenschaftsjahr der Technokraten

Das Wissenschaftsjahr »Zukunftsstadt«[1] geht zu Ende. Es war ein Markt technokratischer Eitelkeiten und die PR-Kampagne für zahlreiche Smart-City-Initiativen, darunter die »Morgenstadt«[2] der Fraunhofer Gesellschaft. Was bleibt hat wenig mit der Stadt als Lebensraum und noch weniger mit dem Leben der Menschen zu tun. Ja, es hat nicht einmal zum umfassenden Nachdenken über eine Stadt der Zukunft für Menschen gereicht.

Songdo-Banner

Songdo (Banner)

Der Hype um die Optimierung der Städte durch Technik verspricht vor allem eins: Viel Geld für die großen Informationstechnologie-Konzerne. Im Mittelpunkt: Vor Allem digitale Produkte, die man den Kommunen verkaufen kann, aber nie die Möglichkeiten und Wünsche der Menschen. Erfahrungen von Stadtplanern und Architekten, Erkenntnisse von Soziologen und Humanwissenschaftlern: Allenfalls Randnotizen.

Zwar haben auch Planer und Baumeister in der Vergangenheit teure Fehler gemacht, als sie in den 1950er und 1960er Jahren der Philosophie Le Corbusiers folgend autogerechte Städte planten und durchsetzten. Aber viele von ihnen haben seitdem aus den Fehlern gelernt.

Solche Erfahrungen haben die neuen IT-Stadtplaner noch nicht sammeln könnten, ja, sie berücksichtigen nicht einmal, dass groß angelegte, modische Veränderungsprozesse zu gewaltigen Fehlentwicklungen führen können. Allumfassend zu reflektieren gehört eben nicht zum Ingenieursdenken, das allein auf Effizienz getrimmt ist.

Mehr als Technik

So lieferte denn auch das Wissenschaftsjahr »Zukunftsstadt« nur mehr von Gewöhnlichen. Die Ingenieure öffneten ihre Werkzeugkisten und zeigten, was sie damit alles machen können. So lud man Bürger beispielsweise zur Ausstellung auf dem Binnenschiff »MS Wissenschaft« ein, um die Ideen von rund 30 wissenschaftlichen, zumeist ingenieurwissenschaftlichen Instituten anzuschauen und damit herumzuspielen. Das nannte sich dann »mitgestalten« – aber eben nur mit den angebotenen Spielzeugen.

Dass eine gute Stadt mehr braucht, als digitale Vernetzungen, Big-Data-Algorithmen, futuristische Fahr- und Flugzeuge oder künstliche Natur, blieb außen vor. Weit weg auch der Gedanke, dass Ineffizienz auch Freiraum bedeutet, in dem die Menschen ihre Lebensräume frei gestalten, Trampelpfade durch den Großstadtdschungel schlagen, die weder Kameras noch Sensoren erfassen.

Innovation statt Stadt

In ihrer »Nationalen Plattform Zukunftsstadt« hat die Bundesregierung denn auch klargestellt, dass es gar nicht um die Städte geht, sondern darum, »neue Strategien für Forschung und Innovation in Deutschland zu entwickeln«[3].

Slim (Nairobi)

Spontane Stadtentwicklung (Nairobi, Kenia)

Als übergreifendes Szenario musste immer wieder die Prognose herhalten, dass 70 Prozent der neun Milliarden Menschen im Jahre 2050 in Städten leben werden. Aber es wachsen in erster Linie nur die Städte in den armen Ländern. Die aber entsprechen schon heute nicht dem Stadtverständnis von Europäern und Nordamerikanern, bei denen die Mittelstädte sogar schrumpfen.

Die Weltbank zeigte in einer Studie, dass die meisten Stadtbewohner in armen Ländern hier nicht ihre permanente Heimat finden, sondern zwischen Stadt und Land migrieren[4]

Unberücksichtigt auch, das selbst die Bewohner in den Slums der Megastädte und der tristen Stadtrandsiedlungen vielleicht Lösungen für lebenswerte Orte bereithalten. Das war nur Thema des Dokumentarfilms »Slums: Cities Of Tomorrow«[5], nicht aber der »Zukunftsstadt«. Was Ingenieure in Deutschland entwickeln und im Wissenschaftsjahr 2015 zeigten, dürfte die Probleme der wachsenden Städte wohl kaum lösen.

Ganzheitlicher Umbau statt Technokratie

Aus der Masse der Daten, die schon heute in einer Stadt anfallen, wie Stromverbrauchszeiten, Fußgänger- und Verkehrsströme, Wasser- und Abwasserflüsse oder Wärmeverteilung, lassen sich höchstens Algorithmen konstruieren, die die Organisation effizienter machen. Sie mögen zur klimatischen Nachhaltigkeit beitragen, aber die Qualität des Lebens in den Städte verbessern sie nicht.

Das wissen auch Kommunalpolitiker, wie Hilmar von Lojewski, Leiter des Dezernats Stadtentwicklung, Bauen, Wohnen und Verkehr beim Deutschen Städtetag: »Was die Industrie anbietet ist in der Regel nicht unbedingt maßgeschneidert. Das ist eben nicht ein ganzheitlicher Umbau einer Stadt, sondern das sind immer Teilbereiche.« Und weiter: »Die Städte sind nicht das Labor, um das zu erproben, was man dann international vermarktet. Deshalb sind wir da auch zurückhaltend, ohne aber technologiefeindlich zu sein.«

Daten statt Sehen

Jan Gehl

Jan Gehl (Architekt und Stadtplaner)

Big-Data-Analysen reichen eben nicht aus. Nirgendwo während des Wissenschaftsjahres »Zukunftsstadt« war zu lesen, dass sich Stadtplaner für Tage oder Wochen an Straßen oder Plätze setzten und einfach nur beobachteten und protokollierten, wie sich die Menschen dort bewegen, welche Stellen sie vermeiden, wo sie gerne stehen bleiben, wo Jugendliche sich zurückziehen, wie und wo sie bei Regen oder Sonne gehen, wo und wann sie sich irgendwo hinsetzen.

Dabei ist genau das das Erfolgsrezept der Kopenhagener Agentur »Gehl Architects«. »Nebenbei kommen dann schon erste Gedanken, wie und wo man etwas verbessern kann,« so ihr Gründer Jan Gehl, der nicht nur Kopenhagen zur freundlichsten Stadt für Fußgänger und Radfahrer umgestaltete, sondern auch die Autos vom New Yorker Times Square verbannte. Seine Idee der »Stadt für Menschen« fiel bei zahlreichen Stadtverwaltungen weltweit auf fruchtbaren Boden, wie beispielsweise in Melbourne, Moskau, Vancouver, San Francisco und Sao Paulo.

Das Wissenschaftsjahr »Zukunftsstadt« ist großartig gescheitert. Es gab nur technokratische Angebote, aber keine, die die Nachfragen befriedigen konnten, für Probleme, für die sich die Menschen Lösungen für ihre eigene Stadt, ihr eigenes Quartier wünschen.


[1] Wissenschaftsjahr 2015 »Zukunftsstadt«, eine Initiative des Bundesmininsteriums für Bildung und Forschung: https://www.wissenschaftsjahr-zukunftsstadt.de

[2] Morgenstadt-Initiative des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation: http://www.morgenstadt.de

[3] Nationale Plattform Zukunftsstadt: https://www.wissenschaftsjahr-zukunftsstadt.de/uebergreifende-infos/das-wissenschaftsjahr-partner/nationale-plattform-zukunftsstadt.html

[4] World Bank Group (2015): East Asia’s Changing Urban Landscape: Measuring a Decade of Spatial Growth. Washington, DC: World Bank. https://openknowledge.worldbank.org/handle/10986/21159,License: CC BY 3.0 IGO.

[5] Slums: Cities of tomorrow: http://www.filmfesthamburg.de/de/programm/Film/21910/Bidonville_architectures_de_la_ville_future


Bilder:

1. Songdo Banner“ von https://www.flickr.com/photos/sharonhahndarlin/https://www.flickr.com/photos/sharonhahndarlin/8965716074/. Lizenziert unter CC BY 2.0 über Wikimedia Commons
2. Spontane Stadtentwicklung in Nairobi (Kenya 2005)“ by Piergiorgio Rossi – produzione propria. Licensed under Public Domain via Wikimedia Commons
3. Hanns-J. Neubert

Welt-Klimakonferenz Hamburg 2015

Kiribati also. Das ist einer der Inselstaaten im Pazifik, der wohl in den nächsten 50 bis 60 Jahren untergehen wird. Als vierköpfige Delegation des Staates Kiribati sollten wir bei der Welt-Klimakonferenz Hamburg 2015 das Beste herausholen. An dem Tag, der auch der letzte der echten Welt-Klimakonferenz in Paris war, die an diesem Abend aber bereits in die Verlängerung gegangen war.

Deutsches SchauSpielHaus Hamburg: »Welt-Klimakonferenz« von Rimini Protokoll. Auf dem Foto von links: Dr. Florian Rauser, Dr. Satya Bhowmik, Dr. Schirin Fathi, Dr. Sabine Hain, Dr. Bernd Hezel, Ana Soliz Landivar de Stange © Saskia Seifert / Kunstschule Wandsbek.

Deutsches SchauSpielHaus Hamburg: »Welt-Klimakonferenz« von Rimini Protokoll. Auf dem Foto von links: Dr. Florian Rauser, Dr. Satya Bhowmik, Dr. Schirin Fathi, Dr. Sabine Hain, Dr. Bernd Hezel, Ana Soliz Landivar de Stange © Saskia Seifert / Kunstschule Wandsbek.

18 Experten beraten Delegationen

700 »Delegierte« aus 195 Staaten der Welt saßen am 11. Dezember 2015 im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg und ließen sich sechs  Klimaexperten aus Wissenschaft und Politik über die neueste Entwicklung des Weltklimas informieren. Dazu gehörte  die graue Eminenz der deutschen Klimaforschung, Hartmut Graßl, langjähriger Direktor des Max-Planck-Instituts für Meteorologie, in den 1990er Jahren Direktor des Weltklimaforschungsprogramms bei der Welt-Meteorologieorganisation der UNO in Genf. Mit dabei auch Mojib Latif, Ozeanograph und Klimaforscher am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel und Rosemarie Benndorf, gelernte Obstgärtnerin, studierte Meteorologin und Mitglied der deutschen Delegation bei den Welt-Klimakonferenzen 2000 bis 2011. Insgesamt 18 hochrangige Experten aus Natur- und Kulturwissenschaften, aus Politik und Wirtschaft waren aus halb Deutschland angereist, um den Delegationen zu helfen, einen Klimakompromiss zu finden, der die Welt vor dem Wärmetod retten könnte.

Das Wissen der Experten legte die Grundlage für die nachfolgenden Meetings, Coachings und bilateralen Gespräche, zu denen die Delegierten im 20-Minuten-Rhythmus immer wieder andere Konferenzräume im Schauspielhaus ansteuerten.

Deutsches SchauSpielHaus Hamburg: Publikum bei der Produktion »Welt-Klimakonferenz« von Rimini Protokoll © Saskia Seifert / Kunstschule Wandsbek

Deutsches SchauSpielHaus Hamburg: Publikum bei der Produktion »Welt-Klimakonferenz« von Rimini Protokoll © Saskia Seifert / Kunstschule Wandsbek

Ein bilaterales Gespräch

Für uns, die Delegation von Kiribati, war ein bilaterales Gespräch mit der Delegation von Turkmenistan angesetzt. Aber worüber können sich Vertreter eines Landes, das in ein paar Jahrzehnten von der Weltkarte verschwunden ist, mit der Delegation eines zwar sehr armen, unter Wassermangel leidenden Landes unterhalten, dessen Hoffnung auf eine bessere Zukunft auf seinen bisher nicht ausgebeutete Öl- und Gasreserven liegen?

Coaching

Die Entwicklungsländer hätten in den vergangenen 20 Jahren immer wieder darin versagt, ihre Forderungen durchzusetzen. Schließlich hätte jedes von ihnen, genau wie die reichen Staaten, eine Stimme gehabt, mit der sie hätten Druck ausübern können. So Toralf Staud, Journalist, Autor von »Wir Klimaretter. So ist die Wende noch zu schaffen« und Mitbegründer von »klimaretter.info«, der als als Coach und Einpeitscher für die Delegierten der Entwicklungsländer fungierte. Deren Delegationen saßen dicht gedrängt wie auf Hühnerleitern in der dunklen Hinterbühne des Schauspielhauses und schauten auf Hauptbühne, die Sonnenseite der Erde. Dort ließen es sich die Delegierten der reichen Länder in Liegestühlen und mit Kopfhörern auf den Ohren entspannt unter den großen Bühnenscheinwerfern gut gehen.

Auf der Sonnenseite Deutsches SchauSpielHaus Hamburg: »Welt-Klimakonferenz« von Rimini Protokoll. Auf dem Foto: Dr. Vera Schemann © Visarut Namsiripongphan / Kunstschule Wandsbek

Auf der Sonnenseite
Deutsches SchauSpielHaus Hamburg: »Welt-Klimakonferenz« von Rimini Protokoll. Auf dem Foto: Dr. Vera Schemann © Visarut Namsiripongphan / Kunstschule Wandsbek

Vor der Schlusskonferenz gaben alle Delegationen ihre Zusagen ab, wieviel CO2 ihre Staaten einsparen, wieviel Geld sie in den grünen Klimafundus, den Green Climate Fund, einzahlen und ob sie Geld aus dem Fundus beantragen wollen. die Präsentation der Daten zeigte, dass die 700 Delegierten in Hamburg sehr wohl bereit waren, die Klimaerwärmung nachhaltig zu reduzieren. Die Konferenz war in dieser Hinsicht noch erfolgreicher als das Pariser Vorbild. Was allerdings wie in Paris offen blieb, waren Umsetzungs- und Kontrollregeln.

Bericht aus Paris

In einer Lifeschalte berichtete der Journalist Nick Reimers, ebenfalls ein Mitbegründer von »klimaretter.info«, vom Stand der Verhandlungen bei der Welt-Klimakonferenz COP21 in Paris. Eindrücklich zeigte der Moderator dazu, wie viele strittige Wort- und Satzformulierungen im Entwurf Pariser Abschlusserklärung noch mit bunten Klammern markiert waren.

Zielgruppe erreicht

Es war das vierte Mal, dass die Hamburger Gelegenheit hatte, am eigenen Leib zu erfahren, wie es auf einer Welt-Klimakonferenz zugeht und welche zum Teil erheblichen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Aspekte derartige Verhandlungen bestimmen. Den 2.800 überwiegend jungen Menschen konnte die Inszenierung eine Ahnung von der Komplexität der physikalischen und chemischen Zusammenhange des Lebenserhaltungssystems Erde vermitteln. Geichzeitig zeigte sie aber auch, wie kompliziert globale menschliche Zusammenhänge und Situationen jenseits lokalen Handelns sind, die es so schwer machen, gemeinsame Ziele auszuhandeln.

Inszeniert wurde die organisatorische und inhaltliche Meisterleistung vom Regietrio »Rimini Protokoll« mit Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel.

Deutsches SchauSpielHaus Hamburg: »Welt-Klimakonferenz« von Rimini Protokoll © Benno Tobler

Deutsches SchauSpielHaus Hamburg: »Welt-Klimakonferenz« von Rimini Protokoll © Benno Tobler


Weitere Informationen auf der Seite des Deutschen Schauspielhauses:
http://schauspielhaus.de/de_DE/kalender/welt_klimakonferenz.12287278 

Das Konzept mit Filmen der Veranstaltungen findet sich auch auf den Seiten von »Rimini Projekt«:
http://www.rimini-protokoll.de/website/de/project_6528.html 

»Politik ist die Unterhaltungsabteilung der Industrie«

Frank Zappa


Kolportiert wird auch:

»Politik ist die Unterhaltungsabteilung des militärisch-industriellen Komplexes.«


Obwohl dieser Ausdruck durchaus auch Zappas Art ensprechen würde, ist dieses Zitat nicht genau zu verifizieren. Es taucht im Internet erst 2002 auf, neun Jahre nach seinem Tod 1993.

Wen es interessiert:
Hier die Recherche: Barrypoptik mit Unterstützung von Quote Investigator


Bild von Jean-Luc (usprünglich auf Flickr geposted als FRANK ZAPPA) [CC BY 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons

Wissenschaftler für weniger Flugreisen

2015-10-27: 119 Akademiker aus aller Welt und allen Disziplinen fordern in einer Petition[1], dass Wissenschaftler nicht mehr so viel mit dem Flugzeug zu ihren Kongressen fliegen.

Auf Change.org hat die Petition bis heute bereits 261 Unterstützer gefunden[2].

Aeroclipart

»Universitäten und wissenschaftliche Gesellschaften klammern die Nachhaltigkeit oft aus,« sagt John Wiseman, einer der Erstunterzeichner und geschäftsführender Direktor der Instituts für eine nachhaltige Gesellschaft der Universität Melbourne, Australien. »Dabei haben sie sehr große Kohlendioxid-Fußabdrücke wegen der häufigen Flugreisen der Mitglieder ihrer akademischen Gemeinschaften.«

»Wir müssen genauso handeln, wie wir lehren,« ergänzt David Jansson, Kulturgeograph an der Universität Uppsala, Schweden. Meistens würde ja andere Arten für den wissenschaftlichen Austausch unter Forschern geben, beispielsweise Videokonferenzen. »Auf kürzeren Reisen gibt es sowieso alternative Reisemöglichkeiten.«

Die Flugreisen der Wissenschaftler an seiner eigenen Universität Uppsala verursachte im vorigen Jahr 7,3 Millionen Kilogramm Kohlendioxid.

Flugreisen sind verantwortlich für zwei bis drei Prozent der globalen Kohlendioxidemissionen, so viel wie ganz Deutschland oder die Stadt Beijing in einem Jahr in die Luft blasen. Der Anteil der Kohlendioxidemissionen aus dem Flugverkehr steigt stetig, weil die immer exzessiveren Flugmeilen die Einsparungen durch technischen Verbesserungen zunehmend ausbremsen.

Mit ihrer Petition wollen die Wissenschaftler eine breite, selbstkritische Debatte in Universitäten und Forschungseinrichtungen anregen.

In Deutschland hat der Aufruf bei den Akademikern bisher kaum ein Echo gefunden.


A Petition Calling Upon Universities and Professional Associations to Greatly Reduce Flying

Press Release


[1] Flying Less: A Petition: https://academicflyingblog.wordpress.com

[2] Change.org: Call on Universities and Professional Associations to Greatly Reduce Flying: https://www.change.org/p/universities-and-professional-associations-call-on-universities-and-professional-associations-to-greatly-reduce-flying?recruiter=294645973&utm_source=share_petition&utm_medium=copylink


Bild: „Aeroclipart“. Licensed under Public Domain via Wikimedia Commons – https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Aeroclipart.JPG#/media/File:Aeroclipart.JPG

Es reicht nicht …

2015-10-14: Die Industriestaaten sind nicht bereit, ihren CO2-Ausstoß so weit herunter zu schrauben, dass die Erderwärmung unter der magischen Zwei-Grad-Grenze bleibt.

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Im Vorfeld des UN-Klimagipfels, der am 30. November 2015 in Paris beginnt, wurden die Regierungen gebeten, Zusagen über ihre beabsichtigten CO2-Reduktionen einzureichen. Jetzt liegen die Versprechungen von 19 Regierungen vor[1], deren Staaten zusammen für 71 Prozent des globalen CO2-Ausstoßes verantwortlich sind.

Danach wird das Zwei-Grad-Ziel wohl weit verfehlt werden. Bis 2030 wird die Erde dann wohl 2,7 Grad wärmer als zu Beginn der Industrialisierung 1850 werden, bis 2100 sogar 3,3 bis 3,8 Grad.

Das Zwei-Grad-Ziel ist ein politisch gesetzter Wert, der auf wissenschaftlich begründeten Schätzungen zu wahrscheinlichen Folgen der Klimaerwärmung beruht. Es ist als Wegmarke gedacht, ab der zwar nicht sofort der Weltuntergang kommt, ab der aber die Wahrscheinlichkeit steigt, dass sogenannte Kipp-Punkte im Klimasystem unbeherrschbare Naturkatastrophen auslösen. Selbst wenn sich die Erdtemperatur bei zwei Grad stabilisieren sollte, werden die Gletscher und das Polareis dennoch weiter schmelzen.

Der Klimaforscher Chris Field von der Stanford Universität, USA, ist deswegen besorgt. Er sagte gegenüber dem britischen Guardian: »Wir haben bis jetzt ein globale Erwärmung von fast einem Grad seit der industriellen Revolution, und sahen bereits weit verbreitete Auswirkungen, die echte Konsequenzen für Menschen hatten. Wir sollten deshalb danach streben, die Erwärmung so weit wie möglich unter zwei Grad zu halten. Aber dazu gehört ein Ehrgeiz, den wir bisher nicht sehen.«[2]

Dagegen mag der Klimakommissar der EU-Kommission, Miguel Arias Canete, die Hoffnung nicht aufgeben. Er sagte in einem Interview mit Associated Press: »In einigen der G20 Länder ist noch genug Manövriermasse, um die Ambitionen zu verstärken«[3]

Obwohl vieles darauf hindeutet, dass das Abschlussdokument von Paris nicht ausreichen wird, das Klima so zu stabilisieren, wie es für die Menschheit notwenig wäre, versuchen die Klimapolitiker Hoffnung zu verbreiten. Ein erster 20-Seiten-Entwurf für einen Klimavertrag kursiert bereits[4], aber schon jetzt Signalisieren einige Regierungen, dass sie mit diesem Diskussionsentwurf gar nicht glücklich sind.


[1] Climate Action Tracker (2015-10-01): INDCs lower projected warming to 2.7°C: significant progress but still above 2°C. http://climateactiontracker.org/news/224/INDCs-lower-projected-warming-to-2.7C-significant-progress-but-still-above-2C-.html

[2] McKIE, Robin (2015-10-10): World will pass crucial 2C global warming limit, experts warn. The Guardian. http://www.theguardian.com/environment/2015/oct/10/climate-2c-global-warming-target-fail

[3] RITTER, Karl (2015-10-12): AP Interview: EU climate boss says G20 countries can improve pledges to cut emissions. Associated Press. http://www.usnews.com/news/business/articles/2015/10/12/ap-interview-eu-climate-boss-says-emissions-cuts-not-enough

[4] WILLIAMS, steve (2015-10-13): The Paris Climate Deal first draft is out: Here’s what you need to know. Care2: The Global Warming Case. http://www.care2.com/causes/the-paris-climate-deal-first-draft-is-out-heres-what-you-need-to-know.html#ixzz3oTsuXcqX

Luftverschmutzung:
Mehr als nur Volkswagen

Mit kriminellen Mitteln versuchte Volkswagen in den USA Kunden und Behörden zu täuschen. Mehr noch: Der Konzern gefährdete damit Leben. Doch Autos sind nicht die einzige Quelle für Abgase, die zu frühzeitigen Todesfällen führen. Auch Landwirtschaft und Seeschiffahrt tragen dazu bei. 

Die Nachricht von den manipulierten Abgaswerden der VW- und Audi-Dieselautos in den USA hat es am vergangenen Sonnabend endlich auch in die Tagesschau geschafft[1]. Volkswagen gab inzwischen zu, die US-Umweltschutzbehörde und das kalifornische Gremium für Luftreinhaltung hinters Licht geführt zu haben[2].

Clean Diesel Werbung von VW

Irreführende „Clean Diesel“-Werbung in den USA

Als „Clean Diesel“ beworben, verdrecken die VW- und Audi-Dieselmodelle in die USA seit sechs Jahren die Luft mit bis zu 40-mal höheren Abgaswerten als die Werbung behauptet und Prüfstandsmessungen scheinbar belegen. VW hat seiner Steuerungssoftware einen Betrugsalgorithmus eingepflanzt, der erkennt, wenn ein Fahrzeug auf dem Abgasprüfstand gecheckt wird[3]. Genau dann regelt die Software die Abgaswerte herunter.

Scheinheilig

Gestern endlich raffte sich der Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn, auch für Forschung in Entwicklung verantwortlich, zu einer Entschuldigung auf[4]. Interessanterweise betont er: „Volkswagen duldet keine Regel– oder Gesetzesverstöße jedweder Art.“ Aber genau das hat VW seit 2009 getan. Um ein derartig ausgefeiltes Betrugssystem zu installieren bedarf es einer Management-Anweisung auf recht hoher Ebene.

Clean-Diesel-VW-Golf

Noch am 10. Juli 2015 posierten Manager der Volkswagen Group of America vor einem „Clean Diesel“-Golf, der wegen seines geringen diesel-Verbrauchs ins Guiness-Buch der Rekorde kam. Foto: Volkswagen AG

Weiter heißt es in Winterkorns Entschuldigung: „… dafür alles Erforderliche tun, um Schaden abzuwenden.“ 

Dabei weiß er genau, dass das nicht möglich ist. Die Schadstoffe sind nun mal in der Luft. Allen voran Stickoxide (NOX), die zur Ozon- und Feinstaubbildung beitragen und damit zu vorzeitigen Todesfällen.

Frühzeitige Todesfälle

Jetzt liegt natürlich die Frage auf der Hand, ob Volkswagen auch in Deutschland Behörden und Kunden an der Nase herum führt und so zum frühzeitigen Tod von Menschen beiträgt. Was Volkswagen recht ist, könnte auch BMW, Ford, Mercedes und Opel billig sein.

In Deutschland sterben doppelt so viele Menschen viel zu früh an den Folgen von Autoabgasen wie an Autounfällen, nämlich rund 7.000 Menschen pro Jahr. Berechneten haben das jüngst Forscher des Max-Planck-Instituts für Chemie[5]. Weltweit tragen die Abgase aus dem Straßenverkehr mit fünf Prozent zu vorzeitigen Todesfällen bei, in Deutschland aber mit rund 20 Prozent.

Auch Landwirtschaft und Schifffahrt

Überraschenderweise ist aber die Landwirtschaft eine wichtige Ursache für schlechte Luft. Die übermäßig eingesetzten Düngemittel setzen chemische Reaktionen in Gang, die am Ende zur Bildung von Feinstaubpartikeln führen. Global gesehen ist die Landwirtschaft die Ursache von einem Fünftel aller frühzeitigen Todesfälle durch Luftverschmutzung. In Deutschland liegt dieser Anteil aber sogar bei über 40 Prozent, errechneten die Max-Planck-Forscher.

Felder

Die angeblich so sauberen Dieselmotoren von Autos, wie VW und Audi sie auf den Markt bringen, sind übrigens genauso dreckig wie die Abgase von Schiffen, unter denen viele Küstenstädte leiden. Das haben Forscher des Virtuellen Helmholtz Instituts HICE festgestellt, das von der Universität Rostock und dem Helmholtz Zentrum München geleitet wird[6]. So überrascht es nicht, dass schwedische Wissenschaftler jüngst gemessen haben, dass die Hälfte aller Nanopartikel in Küstenstädten aus der Seeschifffahrt stammt[7].

Vor diesem Hintergrund ist es völlig absurd, Kreuzfahrtschiffe bis tief hinein in Innenstädte schwimmen zu lassen, wie in Hamburg.

Schiff mit rauchendem Schornstein auf See

Steuergelder gegen Green-washing

Es wäre eine Recherche wert herauszufinden, wie viel Steuergelder ausgegeben werden, um Betrugs-, Verschleierungs- und Beschönigungsversuche (green-washing) der Industrie aufzudecken, wie jetzt am Beispiel Volkswagen geschehen. Denn Forschungsprojekte und Messkampagnen, wie die oben genannten, sind teuer. Und alles nur, weil Unternehmen die Verantwortung auf den Staat und die Bürger abwälzen und sich öffentlicher und transparenter Kontrollen an den Quellen in den Fabriken, den Produktions- und Designprozessen verweigern.


Verantwortungslos (2015-09-22)

Inzwischen hat sich auch der US-CEO von VW, Michael Horn, entschuldigt – aber nur dafür, dass VW die US-Behörden und die eigenen Kunden getäuscht hat. Kein Wort darüber, dass die Abgase nun mal in der Luft sind und allen Menschen schaden. Das hat wenig bis nicht mit sozialer und ökologischer Verantwortung zu tun, aber viel mit PR, Lüge und Green-washing.

Spiegel-Online hat gut aufgelistet, wie die Täuschung aufflog und welche gerissenen Methoden VW benutzte, um alle zu täuschen:


[1] Tagesschau (2015-09-19): Volkswagen droht Bußgeld in den USA, http://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-117929.html

[2] PLUNGIS, Jeff (2015-09-19): Volkswagen Admits to Cheating on U.S. Emissions Tests. BloomberBusiness. http://www.bloomberg.com/news/articles/2015-09-18/epa-says-volkswagon-software-circumvented-car-emissions-testing PLUNGIS; Jeff (2015-09-19): VW `Clean Diesel‘ Scheme Exposed as Criminal Charges Weighed. http://www.bloomberg.com/news/articles/2015-09-19/vw-clean-diesel-scheme-exposed-as-u-s-weighs-criminal-charges

[3] EPA California Notify Volkswagen of Clean Air Act Violations (2015-09-18): Carmaker allegedly used software that circumvents emissions testing for certain air pollutants. http://yosemite.epa.gov/opa/admpress.nsf/bd4379a92ceceeac8…35900400c27/dfc8e33b5ab162b985257ec40057813b!OpenDocument Air Resources Board (2015-09-18): Letter to CEOs of Volkswagen Group of America. http://www.arb.ca.gov/newsrel/in_use_compliance_letter.htm

[4] Statement of Prof. Dr. Martin Winterkorn, CEO of Volkswagen AG (2015-09-20): https://www.volkswagen-media-services.com/detailpage/-/detail/Statement-of-Prof-Dr-Martin-Winterkorn-CEO-of-Volkswagen-AG/view/2709406/7a5bbec13158edd433c6630f5ac445da?p_p_auth=W9vBRy1h

[5] BENNER, Susanne (2015-09-16): Pressinformation: Mehr Tote durch Luftverschmutzung. https://idw-online.de/de/news637686 Zugehörige Grafik: https://idw-online.de/de/image?id=266085&size=screen

[6] Universität Rostock (2015-06-02): Presseinformation: Internationale Messkampagne zu Gesundheitsauswirkungen von Feinstäuben. http://www.analytik-news.de/Presse/2015/324.html

[7] Ny Teknik (16 september 2015 08:30): Sjöfarten släpper ut flest farliga nanopartiklar. http://www.nyteknik.se/nyheter/energi_miljo/miljo/article3931009.ece