Kategorie: 5 Erde

Umwelt, Meere, Ozean, Klima

Klima (Woche 38)

Der Klimawandel war auch in dieser Woche kaum eine Meldung wert. Doch er macht genauso wenig Halt, wie die Flüchtlingsströme. Klimawandel und Flüchtlinge haben eines gemeinsam: Sie kommen unausweichlich. Schon lange ist klar, dass der Klimawandel extremes Wetter bringen wird und dass die reichen Länder zunehmend mehr Flüchtlinge beherbergen werden. Und das offenbar schneller als gedacht.

Düne mit wartenden Menschen

Trockenheit. Foto: Neubert

August 2015 war weltweit der zweitwärmste August seit 1880. Noch wärmer war dieser Monat nur im vergangenen Jahr. Doch die eigentlichen Wärmerekorde dieses Jahres brachten die Monate Januar mit 0,81 Grad und Februar mit 0,88 Grad über dem gobalen Mittelwert der Jahre 1951 bis 1980. Es sieht so aus, dass 2015 ein neuerliches wärmstes Jahr seit der Industrialisierung wird[1].

Mehr noch: Im Juni war die kritische Marke von 400 ppm CO2 überschritten, eine Marke, die die Politik eigentlich nicht überschreiten wollte, um das Zwei-Grad-Ziel nicht zu gefährden (ppm = Anteile pro Million anderer Teile).

Regen und Wasser. Foto: Neubert

Regen und Wasser. Foto: Neubert

Damit nicht genug: Der Erde steht jetzt noch das natürlich Klimaphänomen El Niño bevor. Eintreten wird es wohl zwischen dem kommenden Oktober und Januar. Veränderte Meeresströmungen verursachen dann eine starke Erwärmung des Ozeans auf beiden Seiten des Äquators. Die Folge: Länder am westlichen Rand des Pazifik werden Dürren erleben, während Peru und Chile mit extremen Regenfällen rechnen müssen. Beides wird erneut Menschen dazu veranlassen, sich auf die Suche nach einem besseren Platz auf der Erde zu begeben, einem besseren Leben.


[1] GLOBAL Land-Ocean Temperature Index der Nasa. http://data.giss.nasa.gov/gistemp/tabledata_v3/GLB.Ts+dSST.txt

Was in der vergangenen Woche wichtig war

Was es aus Wissenschaft und Technik in der Woche 37/2015 nicht auf die Titelseiten schaffte, aber es wert ist darüber zu berichten. Klima ist dabei natürlich ein Dauerthema. Der „Sternmensch“, Homo naledi, hat es immerhin ausführlich auf die Wissenschaftsseiten gebracht. Für die Individualität von Nanopartikeln gilt dies nicht, auch wenn es Konsequenzen für ihre Anwendung hat. Und dass Tabak wenigstens Kulturgeschichte schreibt, kann man immerhin auch als gesellschaftlichen Verdienst von Rauchern sehen.


Klima

Das Thema „Klimawandel“ ist eigentlich ein Dauerthema und jeden Tag, jede Woche wichtig. Gerade auch jetzt, wo Flüchtlinge, Willkommenskultur und Fremdenfeindlichkeit die Titelseiten beherrschen. Genauso wie die Völkerwanderung aus Kriegsgebieten ins reiche Europe vorhersehbar waren, genauso ist vorhersehbar, dass schon bald auch zunehmend mehr Klimaflüchtlinge die Festung Europa stürmen und erobern werden. „Klimabedingte Flucht ist ein weitgehend unterschätztes Phänomen. Wir sprechen von Millionen“, sagte der Völkerrechtler Walter Kälin kürzlich in einem Interview[1].

Die Fakten liegen in zahlreichen Forschungsergebnissen auf dem Tisch. Besonders jetzt vor dem Klimagipfel in Paris im kommenden November, hat die Zahl der wissenschaftlichen Veröffentlichung noch einmal zugenommen. Niemand kann heute mehr sagen, er hätte es nicht gewusst.

Dennoch geht der Ausstoß des wichtigsten Klimagases, das die Menschheit beeinflussen kann, munter weiter. Die CO2-Konzentration lag an der Standard-Messstation Mauna Loa auf Hawaii in Woche zwischen dem 30. August und dem 6. September mit durchschnittlich 398,49 ppm um 2,37 ppm über dem Wert des Vorjahres im gleichen Zeitraum. „ppm“ bedeutet, „parts per million“, also ein Molekül CO2 auf eine Million anderer anderer Luftmoleküle. Das ist ziemlich viel, betrug ihr Anteil in vorindustrieller Zeit, also vor etwa 1850, doch nur rund 280 ppm. Beim Weltkongress in Rio im Juni 1992 waren es dann es schon 364 ppm. Um das politische Zwei-Grad-Ziel mit einer Wahrscheinlichkeit von 70 Prozent einzuhalten, müsste die Konzentration unter 400 ppm bleiben. Das war im Juni 2015 aber bereits überschritten. Mehr dazu bei CO2Now.


Atmospheric CO2 data


Homo naledi

Skelett Homo naledi (Photo by John Hawks/University of Wisconsin-Madison)

Skelett Homo naledi (Photo by John Hawks/University of Wisconsin-Madison)

Am vergangenen Donnerstag veröffentlichte das Fachblatt eLife die Entdeckung einer neuen Menschenart. Die Forscher um Lee R. Berger tauften sie „Homo naledi“[2].

In einem Höhlensystem namens „Rising Star“ in Südafrika fanden die Wissenschaftler 1550 Knochenstücke, die sie 15 Individuen zuordnen konnten. „Naledi“ heißt auf Sesotho „Stern“. Noch weiß man nicht genau, wann dieser 1,50 Meter große, 45 Kilogramm leichte und mit einem orangengroßen Gehirn ausgestatte Verwandte gelebt hat.


Jedes Nanopartikel ist einzigartig

Nanopartikel derselben Größe, aus demselben Material und mit derselben Form können dennoch sehr äußerst verschiedenen Eigenschaften haben. Zumindest gilt das erst einmal für Partikel, die Wasserstoffgas binden. An ihnen wird geforscht, weil sie in Zukunft eine wichtige Rolle bei der Entwicklung einer sicheren Wasserstoffzukunft spielen sollen, beispielsweise beim Transport und der Lagerung von Wasserstoff, für bessere Katalysatoren oder in Brennstoffzellen und als besonders empfindliche Sensoren.

Doch alle Nanopartikel weisen von Beginn an verschiedene Fehler in ihrem Atomgitter auf, die sie für eine Anwendung mehr oder (meist) weniger geeignet machen.

Entdeckt haben diese unerwünschten Eigenschaften Forscher um Christoph Langhammer von der Chalmers Universität in Göteborg, Schweden. Denn mit den herkömmlichen mikroskopischen Methoden sind die Fehler in den Partikeln nicht erkennbar. Die Wissenschaftler untersuchten stattdessen das Verhalten von Plasmonen. Was das Photon für die Messung elektrischer Schwingungen ist, ist ein Plasmon für die Messung von Schwingungen in einem atomaren Metallgitter. Sie werden als elementare Quasiteilchen bezeichnet, deren Verhalten Auskunft über die Ladungsträgerdichte in Halbleitern, Metallen und Isolatoren gibt[3].


Tabak historisch

Buchveröffentlichung: An der Kulturgeschichte des Tabaks lassen sich soziale und kulturelle Veränderungen in Europa und der Welt nachzeichnen. Auf die Idee muss man erst einmal kommen.

Im 16. Jahrhundert gelangte Tabak als „braunes Gold“ in die vornehmen Kreise Europas. Von da an sollte das nikotinhaltige Pflanzenprodukt die „Genusskultur“ vieler Menschen über Generationen hinweg bestimmen. Ab dem Ende des 20. Jahrhunderts wurde Tabak dann zunehmend stigmatisiert und als gesundheitliches Übel der Moderne dargestellt[4].


[1] KÄLIN, Walter im Interview: Wir sprechen von Millionen. Akzente 3/2015, Das Magazin der GIZ, S. 25.

[2] BERGER, Lee R, et.al. (2015): Homo naledi, a new species of the genus Homo from the Dinaledi Chamber, South Africa. eLife 2015;4:e09560, DOI: http://dx.doi.org/10.7554/eLife.09560, http://elifesciences.org/content/4/e09560.full

[3] KARLSSON-OTTOSSON, Ulla (2015): Forskare avslöjar: Varje nanopartikel är unik. Ny Teknik 2015-09-07 http://www.nyteknik.se/nyheter/innovation/forskning_utveckling/article3928261.ece

[4] JACOB, Frank; Gerrit Dworok (Hrsg. 2015):  Tabak und Gesellschaft. Vom braunen Gold zum sozialen Stigma. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2015, 406 Seiten, Band 1 der Reihe „Wissen über Waren – Historische Studien zu Nahrungs- und Genussmitteln“, 78,00 Euro, ISBN 978-3-8487-1628-9.

Mit dem Rücken zum Meer

Spricht man dieser Tage angesichts von Asyl und Migration vom Meer, denken viele an das blaue Massengrab Mittelmeer – außer denjenigen, die sich an dessen Stränden braten ließen. Dabei flohen viele nicht vor Kriegen, sondern vor den Auswirkungen des Klimawandels – und werden abgeschoben. Indess waren es die reichen Ländern, deren maßloser Konsum ihre Lebensgrundlage zerstört hat.

Reden wir also übers Klima. Und weil die Erde ein Wasserplanet ist: Reden wir über das Weltmeer.

Den Ozeanen geht es schlecht. Doch wir sehen es nicht. Der Horizont ist immer noch weit. Die Wellen rauschen ewig unbeirrt, mal sanft und beruhigend, mal schaumig brüllend. Der Wind streicht durchs Haar oder peitscht manchmal die Haut. Es riecht nach wie vor nach Tang und Salz, manchmal vermischt mit Schiffsdiesel.

Blick von Malmö über den Öresund zur Örresundbrücke

Über den Wellen: Träume. Foto: Neubert

So what?

Fast drei Viertel der Erde sind von Wasser bedeckt, das um die drei bis vier Kilometer, manchmal über zehn Kilometer tief reicht – mehr als die höchsten Berge hoch sind. Das ist nicht neu, kann aber ab und zu die Perspektive wieder gerade rücken.

Die sieben Milliarden Menschen dagegen drängen sich auf 29 Prozent der Erdoberfläche, zumeist an den Küsten. Für die Ernährung all dieser Menschen stehen nicht einmal zehn Prozent der Globusoberfläche zur Verfügung. Der vielfach idealisierte tropische Regenwald breitet sich auf weniger als drei Prozent der Erde aus, alle andern Wälder bedecken noch einmal sechs Prozent.

Allein diese Größenordnungen zeigen, was das eigentliche Lebenserhaltungssystem der Erde ist: Der Weltozean.

Aber wir leben noch

Dass die Menschheit trotz Umweltverschmutzung und Klimagasausstoß überhaupt noch überlebt, liegt daran, dass die Meere vieles schlucken ohne dass wir es merken.

Die Dimensionen machen aber auch deutlich, wie gewaltig die Menge an Umwelt- und Klimaschadstoffen ist, die die heute knapp 1,3 Milliarden Menschen in den reichen Ländern einfach verkonsumiert, verbrannt und weggeworfen haben und es immer noch tun. So viel, dass sie zu inzwischen unübersehbaren Problemen für einzelne Landökosysteme geworden sind. Aber nur die sind es, die die Menschheit sieht und leibhaftig erfährt.

Den Meeren dagegen kehrt die Menschheit den Rücken zu. Müll und Abgase decken die Wellen gnädig zu. Doch als ausgleichender Wärmepuffer kommen sie schon an fühlbare Grenzen.

Weit mehr als ein Viertel des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2), das der Mensch seit der Industrialisierung durch die Verbrennung von Kohle, Öl und Erdgas in die Luft geblasen hat, haben die Weltmeere aufgenommen. Teilweise nahmen es die winzig kleinen Planktonorganismen auf und zogen es beim Absterben mit in die Tiefe.

Chemische Reaktionen kann man nicht abschalten

Aber der größte Teil des CO2 setzte chemische Reaktionen in Gang, die noch Hunderte von Jahren weiter laufen werden und nicht mehr rückgängig zu machen sind. Die Folge: Das Meerwasser ist saurer geworden. Zahlreiche Planktonorganismen und Korallen können nicht mehr ihre Kalkschalen und -skelette aufbauen. Sie sterben ab und entfallen damit auch als Transporteure für CO2 in die Tiefe.

Wie gefährlich nahe die Ozeane daran sind, als Lebenserhaltungssystem zu kollabieren, zeigen eine Reihe von wissenschaftlichen Modellrechnungen und Auswertungen, die gerade in den vergangenen Wochen veröffentlicht wurden. Sie kommen alle zum selben Ergebnis: Den Ozeanen droht der Kollaps.[1] [2] [3]

Deshalb müssen wir also auch über die Ozeane reden. Sie haben keinen Schalter, mit dem sich die chemischen Reaktionen abschalten lassen. Sie werden also weiter auch das regionale Wetter massiv beeinflussen – und das für die meisten Menschen nicht mehr positiv.

Jetzt Zinsen zurück zahlen

Es wird ein ganz normaler Zustand werden, dass immer mehr der knapp 6 Milliarden Menschen die Reise antreten, Menschen, denen die 1,3 reichen Milliarden seit Jahrhunderten die Ressourcen Luft, Land, Bodenschätze und Einkommen streitig machen. Jetzt fordern die Armen legitimerweise Rückzahlungen und Zinsen von dem Kapital, das vor allem Europa und Nordamerika reich machte.

Flüchtlingscamp Choucha, Tunesien

Flüchtlingscamp Choucha, Tunesien. Foto: Mohamed Ali Mhenni (Wikimedia)


[1] Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (2015): CO2 aus der Luft zurück zu holen kann die Ozeane nicht retten. https://idw-online.de/de/news?print=1&id=635582

[2] Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren (2015): Den Ozeanen droht der Kollaps http://www.helmholtz.de/erde_und_umwelt/den-ozeanen-droht-der-kollaps-4307/

[3] Alfred-Wegener-Institut (2015): Die Meere können nicht mehr http://www.awi.de/ueber-uns/service/presse/pressemeldung/die-meere-koennen-nicht-mehr-forscher-befuerchten-einen-grundlegenden-wandel-der-ozeane-selbst.html

Grünes Paradox

Stromsparen führt offenbar zu einem immer höheren Energieverbrauch. Wie sonst ist zu erklären, dass gerade in den vergangenen Jahren der jährliche CO2-Ausstoß in Deutschland, in Europa und vor allem weltweit dramatisch angestiegen ist – trotz milliardenschwerer Investitionen in grüne Technologien in Deutschland, Europa, den USA, China, Korea oder Brasilien? Obwohl überall neue Solardächer und Windmühlen spießen, werden gleichzeitig immer mehr Kohlekraftwerke gebaut – in China eins pro Woche⁠1.

Auch in Deutschland wurde in den vergangenen 23 Jahren nie so viel Kohle, v.a. Braunkohle in Strom verwandelt, wie im vergangenen Jahr. »Die Energiewende ist eine Kohlewende«⁠2, schrieb die »Tageszeitung« denn auch schon. Kohle ist billig und die Ressourcen sind schier unerschöpflich im Vergleich zur endlichen Kapazität der Atmosphärendeponie für CO2. Kohle, Öl und Gas bestehen vornehmlich aus Kohlenstoff. Werden diese fossilen Brennstoffe verbrannt, entsteht das Treibhausgas Kohlendioxid CO2. Es gibt noch zahlreiche andere Treibhausgase, aber es ist der vom Menschen verbrannte Kohlenstoff aus den Tiefen der Erde, der in erster Linie den Treibhauseffekt antreibt. Das CO2 ist auch der Stoff, den die Menschheit am einfachsten kontrollieren könnte.

In Deutschland will sich die Bundesregierung zwar dafür einsetzen, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken, aber schon jetzt scheint klar, dass das Ziel wohl eine Illusion ist, wie das Internationale Wirtschaftsforum Regenerative Energien meint.⁠3 

Unbequeme Wahrheit

Warum das so ist, präsentierte ausgerechnet der neoliberale Wirtschaftswissenschaftler Hans-Werner Sinn, Präsident des IFO Instituts für Wirtschaftsforschung in München in seinem Vortrag »Energiewende ins Nichts«⁠4 am 16. Dezember an der Universität München. 

Es kritisierte, dass sich die energiepolitischen Aktivitäten in Deutschland sich vor allem auf die elektrische Energie konzentrieren würden, die aber gerade einmal knapp 21 Prozent des Endenergieverbrauchs ausmacht. Für die Vermeidung von Kohlendioxid aus fossilen Energieträgern von über 84 Prozent gebe es aber keine überzeugenden Konzepte.

Denn ausschließlich auf Öl, Kohle und Gas basierten industrielle Prozesswärme mit über 19 Prozent, Raumwärme und Warmwasser mit über 26 Prozent und der Autoverkehr mit fast 27 Prozent. Strom aus Kohle und Erdgas machen gerade einmal 12,4 Prozent aus – eine Größenordnung die sich in Zukunft in der Tat relativ leicht durch regenerative Energien ersetzen lassen könne. Die vielen Millionen Quadratmeter Solarpanele in Deutschland lieferten aber gerade einmal 1 Prozent der Endenergie, die an etwa 24.000 Windkraftanlagen⁠5 1,8 Prozent. Biomasse, Abfallverbrennung und Wasserkraft steuern noch einmal magere 2,3 Prozent bei.

Für Sinn stellt der Klimawandel die größte Herausforderung für das Überleben der Menschheit dar. Er zeigte in seinem Vortrag nur auf, wie die Lage ist und drang darauf, über blindem Aktionismus, für den er auch das Erneuerbare-Energie-Gesetz hält, nicht die ganz großen und entscheidenden Kohlendioxidschleudern zu vergessen. Einen Lösungsvorschlag blieb er in seinem Vortrag aber schuldig.

Die Atmosphäre gehört den Besitzern der fossilen Energieressourcen

Ein Lösungsansatz hat er allerdings bereits in seinem Buch »Das grüne Paradoxon«⁠6 von 2008 entwickelt, das 2012 revidiert neu erschien. Die Fakten, die er darin seiner Lösung zu Grunde legte, bezweifelt niemand. Nur die Lösung, auf die er dann kommt, wird von Umweltverbänden und den Klimawissenschaften nahestehenden Wirtschaftswissenschaftlern kritisiert.

Es ist fast eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet ein neoliberaler Wirtschaftswissenschaftler Energiepolitiker und Energiewende-Aktivisten darauf hinweisen muss, dass die Verbraucher von Energie gar nicht die Macht haben, das Ruder herumzureißen. In seinem Buch zeigte er auf, dass es die Besitzer vor Öl- und Gasquellen und der Kohlebergwerke seien, die die Atmosphäre beherrschen, die Deponie für immer mehr Kohlendioxid. Sinn lenkt deshalb die Aufmerksamkeit auf die Angebotsseite bei den Diskussionen um den Klimaschutz, die bisher völlig vernachlässigt wurde.

Ottmar Edenhofer und Matthias Kalkuhl, zwei Ökonomen des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung PIK, haben sich in einem Aufsatz mit dem Titel »Das ›Grüne Paradoxon‹ – Menetekel oder Prognose?«⁠7 gründlich mit Sinns Überlegungen auseinandergesetzt. Edenhofer ist auch Chefökonom und Vorsitzender der Arbeitsgruppe III des Weltklimarates.

Das Angebot verändert das Klima

Die beiden sind überzeugt: »Mit einseitiger Nachfragepolitik wie dem Verbot von Glühbirnen, der Einführung effizienterer Kühlschränke und auch dem Drei-Liter-Auto wird Klimapolitik scheitern: Müssen die Ölscheichs und Kohlebarone damit rechnen, dass sie in Zukunft weniger auf dem Weltmarkt verkaufen können, werden sie ihr Öl und ihre Kohle nur noch schneller aus dem Boden holen.« Die dann noch erzielbaren, durchaus geringeren Profite, könnten sie dann nämlich in Investitionen lenken, die höhere Renditen versprechen, als Öl, Gas und Kohle, deren Förderung in absehbarer Zeit vielleicht ganz eingestellt werden müsste. »Mit diesem Paradoxon scheinen zunächst alle bisherigen politischen (und individuellen) Bemühungen um ein stabiles Klima in Frage gestellt und die Lösung des Klimaproblems schier unvorstellbar«, schreiben die beiden Klimaökonomen weiter.

Länder, die sich energieeffiziente Techniken und Anlagen zum Einsammeln der verstreut auftretenden regenerativen Energien nicht leisten können, werden zugreifen und noch viel stärker auf fossile Energiequellen setzen.

Die Atmosphäre ist aber eine endliche Deponie für CO2 – jedenfalls wenn die Menschheit mit noch moderaten Wetterkapriolen überleben will. Jedes CO2-Molekül erhöht die Konzentration in der Atmosphäre und im Meer. Dort bleibt es für die nächsten Jahrhunderte, bevor es durch geochemische und biologische Prozesse wieder aufgenommen wird. Demgegenüber sind die Vorräte an fossilen Kohlenwasserstoffen jedoch schier unendlich. Würden sie in kurzer Zeit völlig ausgebeutet, würde so viel Kohlendioxid in die Luft gelangen und die Erde erwärmen, dass sie sich schon bald eine heiße Wüste verwandeln könnte.

Quellensteuer

Obwohl Sinn als Neoliberaler sich vehement gegen jegliche politische Marktregelungen wehrt, sieht er nur drei Möglichkeiten der Klimarettung: die fossilen Lagerstätten versiegeln, ein weltweites Emissionshandelssystem oder eine Quellensteuer einführen.

Er bevorzugt eine Quellensteuer auf die Profite aus der Öl-, Gas- und Kohleförderung, weil die Versiegelung der Lagerstätten nicht ohne Kriege ablaufen würde. Sie lasse sich relativ schnell verwirklichen. Denn nach seiner Ansicht seien internationale Übereinkommen zum Emissionshandel unrealistisch. Die gescheiterte Klimakonferenz in Warschau im November 2013 scheint ihm in dieser Hinsicht recht zu geben.

Edenhofer und Kalkuhl erkennen an, dass Sinn mit seiner Analyse der Angebotsdynamik einen neuen Aspekt ins Spiel gebracht hat, der bisher so noch nicht betrachtet wurde. Auch stimmen sie mit ihm überein, dass die derzeitige »grüne« Politik der Bundesregierung und der EU dazu führt, »dass die Ressourcen schneller gefördert werden als dies effizient wäre und damit den Klimawandel beschleunigen«.

Globaler Kohlenstoffmarkt

Doch anders als Sinn sehen sie durchaus eine Lösung in der Durchsetzung eines weltweiten Emissionshandels, also in einem globalen Kohlenstoffmarkt. 

Der solle aber in Form eines Nachfragekartells sehr schnell verabredet werden und spätestens ab 2020 wirksam werden. Das sei durchaus eine politische Mammutaufgabe, aber nicht unmöglich. Alles stehe und falle mit einem globalen Klimaabkommen, das den Besitzern der fossilen Rohstoffe die Profite kürzt, um der Weltbevölkerung die Eigentumsrechte über die Atmosphäre wieder zurückzugeben.

Bäumepflanzen ändert kaum etwas

Skeptisch sehen die PIK-Wissenschaftler auch Sinns Forderung nach einer Aufforstung von Wäldern und dem Erhalt von Urwäldern. Das könne zwar eine sinnvolle Ergänzung zum Emissionshandel sein, aber bisher waren internationale Waldabkommen deshalb erfolglos, weil die beteiligten Länder weder die Eigentumsrechte noch die Überwachung garantieren konnten. Hinzu komme, dass ausgewachsene Wälder die CO2-Bilanz kaum beeinflussen. Aufforstungen hätten also nur einen kurzzeitigen Effekt während der Wachstumsphase und könnten das CO2 aus der Verbrennung fossiler Energieträger nicht dauerhaft aufnehmen.

Emissionshandel plus Technologie

Edenhofer und Kalkuhl ist genauso klar wie Sinn, dass Nachfragekartelle nicht besonders stabil sind. Es bestehe immer die Gefahr, dass ein Land wieder aus dem Vertragswerk ausscheide.

Wenn man allerdings die Technologie- und Innovationspolitik der reichen Länder mit dem Emissionshandel verbinde, so die PIK-Ökonomen, könne es klappen. Von neuen Effizienztechnologien und Innovationen sollten dann nur noch diejenigen Länder profitieren, die sich an der Verminderung der Emissionen beteiligen. Die anderen würden Gefahr laufen, technologisch in ihrer Entwicklung zurückzubleiben. Sie würden sich deshalb bemühen, einem solchen Kartell ebenfalls beizutreten.

Das Resümee der PIK-Ökonomen: Gelänge es nicht, den Emissionshandel in Verbindung mit einer aktiven Technologiepolitik global zu verwirklichen »wird die Klimapolitik scheitern. Eine illusionslose Klimapolitik mag schwierig und visionär sein, aber sie ist nicht aussichtslos. Das Grüne Paradoxon ist ein Menetekel und keine Prognose. Als Warnung ist es wichtig, als Prognose wäre es selbsterfüllend«.

Was kann jeder tun?

Es kann einem in der Tat schwindelig werden, wenn man ein paar Schritte zurücktritt, um sich das große Ganze anzuschauen. Vor dem globalen Hintergrund erscheinen die eigenen Anstrengungen, Strom zu sparen, weniger Auto zu fahren oder sich Solarzellen aufs Dach zu pflanzen entsetzlich unwichtig. Selbst wenn man 100 Millionen Gleichgesinnte um sich scharen könnte, sind sie verschwindend gering angesichts der Dimensionen um die es beim Klimaschutz geht – vor allem wenn man weiß, dass Deutschland mit seinen Anstrengungen für eine grünere Zukunft international fast alleine dasteht.

Neben einem klimaangepassten, eigenen Lebensstil ist es deshalb wichtiger denn je, sich politisch zu engagieren, sich zu empören und aufzustehen. Ob dabei die Parteien in parlamentarischen Demokratien die richtigen Partner sind, ist fraglich. Ohne weltweit agierende Umweltlobbys wird es nicht gehen, auch wenn die etablierten NGOs sich ebenfalls zunehmend in gefährliche Nähe zur Lobby der Besitzer fossiler Energien begeben. Eine alternative gibt es nicht.


1. Sinn, Hans-Werner (2013): Energiewende ins Nichts. Vortrag an der Universität München, 2013-12-16 http://mediathek.cesifo-group.de/player/macros/_v_f_750_de_512_288/_s_ifo/_x_s-764870657/ifo/index.html

2. Tageszeitung (2014-01-07): Strom aus Braunkohle – Höchste Produktion seit 1990 http://m.taz.de/Strom-aus-Braunkohle/!130520;m/

3. Internationales Wirtschaftsforum Regenerative Energien (2013-12-04): Klimaschutzziele in Deutschland bis 2020 nicht zu erreichen. Pressemeldung http://www.iwrpressedienst.de/Textausgabe.php?id=4641

4. Sinn, Hans-Werner (2013): Energiewende ins Nichts. Vortrag an der Universität München, 2013-12-16 http://mediathek.cesifo-group.de/player/macros/_v_f_750_de_512_288/_s_ifo/_x_s-764870657/ifo/index.html

5. Statista (2013). Anzahl der Onshore-Windkraftanlagen http://de.statista.com/statistik/daten/studie/20116/umfrage/anzahl-der-windkraftanlagen-in-deutschland-seit-1993/

6. Sinn, Hans-Werner (2008, revidierte Neuauflage 2012): Das grüne Paradoxon: Plädoyer für eine illusionsfreie Klimapolitik. Econ Verlag, 2008, ISBN 978-3-430-20062-2 und Ullstein Taschenbuch, 2012, ISBN 978-3-548-37396-6. Kurzfassung als PDF: Ifo Working Paper No. 54: Das grüne Paradoxon: Warum man das Angebot bei der Klimapolitik nicht vergessen darf http://ideas.repec.org/p/ces/ifowps/_54.html

7. Edenhofer, Ottmar; Matthias Kalkuhl (2009) Das ›Grüne Paradoxon‹ – Menetekel oder Prognose? http://www.pik-potsdam.de/members/edenh/publications-1/edenhofer_kalkuhl_gruenes-paradoxon


Zuerst erschienen bei think-eco.org (offline) am 2014-01-07

Weltuntergang

Am 21. Dezember geht die Welt unter.

Es gibt Menschen, die das tatsächlich glauben. Es ist der Tag der Wintersonnenwende und mit dem Datum endet angeblich auch der Kalender der Maya. Viele deuten das als das Ende aller Zeiten.

So kaufen Russen derzeit die Lebensmittelläden leer, um Notvorräte zu schaffen, vor allem Wodka, Nudeln und Kondome. US-Amerikaner buchen One-Way-Tickets nach Bugarach, einem 200-Einwohner-Dorf am Fuße der französichen Pyrenäen. Es heißt, dass es dem Weltuntergang entgehen würde. Dort campieren bereits jetzt so viele Menschen, dass die französische Regierung wohl demnächst die Zufahrt nach Bugarach sperren wird.

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Probefahrt

Hamburg 2006-02-10: Ein Schnäppchen ist dieses Fahrzeug nicht gerade, zumal es nicht einmal so stark beschleunigt wie ein Radfahrer und mit seiner Höchstgeschwindigkeit von 28 Kilometern pro Stunde selbst in einer verkehrsberuhigten Zone den Verkehr behindern.

Dennoch ist es das reinste Vergnügen, dieses nagelneue, großzügig ausgestattete High-Tech-Fahrzeug Probe zu fahren. Ans Steuer durfte ich natürlich nicht, denn der stolze Besitzer fürchtete, dass sein Neuerwerb Schrammen oder gar Beulen bekommen könnte. Abgesehen davon: Auf ein Steuerrad hat man völlig verzichtet, dafür aber gleich drei Fahrersitze vor den übersichtlich angeordneten Armaturen der über zehn Meter breiten Konsole angeordnet.

Das kann man für einen Kaufpreis von 56,4 Millionen Euro aber auch schon verlangen. Schließlich ist das Fahrzeug fast 95 Meter, 19 Meter breit und wird von 5.700 Kilowatt (7.650 PS) angetrieben. Dennoch dürfen normalerweise nur 46 Personen darauf fahren.

Forschungsschiff »Maria S. Merian«

Ja, ein Schiff, ein Forschungsschiff. Der erste Neubau für die deutsche Meeresforschung seit 15 Jahren. Am 26. Juli 2005 taufte es die ehemalige Forschungsministerin Edelgard Bulmahn auf den Namen »Maria S. Merian«. Gestern, am 9. Februar 2006 wurde das neue Forschungsschiff in Warnemünde der Wissenschaft übergeben. Ein Geschwader von 18 Schiffen, allen voran das Forschungsschiff »Alkor« des Kieler Instituts für Meereskunde-Geomar, holte sie bei regnerischem, ein wenig stürmischen Wetter auf See ab und geleitete sie zum Passagierkai Liegeplatz 7 von Rostock-Port, dem Aida Cruise Terminal. Von Bord des Fischeischutzbootes »Seeadler«, einem mächtigen, über 70 Meter langen, grau-schwarzen Wachboot, das üblicherweise seine Kontrollfahrten bis zu den Fischgründen bei Grönland ausdehnt, konnte eine Gruppe von Wissenschaftsjournalisten, darunter auch ich, der ersten Begegnung mit dem neuen Forschungsschiff unter trübem Himmel beiwohnen.

Forscherin und Künstlerin

Nach dem Flaggenwechsel hielten Prof. Dr. Frieder Meyer-Krahmer, Staatssekretär im Bundesbildungsministerium, Dr. Harald Rengstorff, Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Prof. Dr. Ernst-Ludwig Winnacker, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), und Prof. Dr. Bodo von Bodungen, Direktor des Leibnitz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) ihre Übergabereden.

Winnacker ging dabei auf den überaus interessanten Lebenslauf der schon zu ihrer Zeit bekannten Künstlerin und Naturforscherin Maria Sibylla Merian ein, die 1647 in Frankfurt geboren wurde, 1699 mit ihrer jüngsten Tochter eine Expedition ins Hinterland von Suriname unternahm und 1717 in Amsterdam starb. Mehr über diese außergewöhnliche Frau kann man in der Wikipedia erfahren.

Mit einstündiger Verspätung legte die »Maria S. Merian« zu ihrer vierstündigen Gästeausfahrt auf die Ostsee ab. Mit dabei: Schülerinnen und Schüler von deutschen Schulen, die ebenfalls nach Maria S. Merian benannt sind. In den nagelneuen, blitzsauberen Labors zeigten Wissenschaftler, für welche Arbeiten sie die neue Forschungsplattform in Zukunft nutzen werden.

Ebenfalls an Bord: »Mr. Methanhydrat« Prof. Dr. Gerhard Bohrmann von der Universität Bremen, Romanheld im Bestseller »Der Schwarm« von Frank Schätzing (s.a. Hanns-J. Neubert (1997): Energie vom Meeresboden (GEO 3/1997))

Fahreigenschaften

Rein äußerlich zeigt schon der Knicksteven, wo einmal das Haupteinsatzgebiet der »Maria S. Merian« liegen wird: Am Eisrand der Arktis und im nördlichen Golfstrom. Eine Eisdicke von 50 Zentimetern zu brechen, soll kein Problem sein. Vom geräumigen Hangar auf dem Arbeitsdeck können Wasserschöpfer direkt außenbords gefahren werden, während Wissenschaftler und Techniker vor Sturm, Wellen und Kälte geschützt bleiben.

Auch wenn das neue Eisrandforschungsschiff nun wirklich kein Luxusliner ist, eines hat es mit der berühmten »Queen Mary 2« gemeinsam: Den POD-Antrieb. Bei diesem Schiffsantrieb hängt der Propeller, direkt angetrieben von einem Elektromotor, an einer drehbaren Gondel unter dem Schiff an einer besonders strömungsgünstigen Stelle. Die Gondel lässt sich um 360 Grad drehen, ein Ruder ist überflüssig. Vielmehr lässt sich ein damit ausgerüstetes Schiff »auf dem Teller« wenden, kann sogar seitwärts fahren. Solche Antriebe sparen nicht nur bis zu 10 Prozent Treibstoff, sie sind auch äußerst geräusch- und vibrationsarm — ein enormer Vorteil für Forschungsarbeiten mit empfindlichen Messgeräten oder an Mikroskopen.

Das zeigte sich während der Ausfahrt in die kabbelige Ostsee. Wären da nicht die engen Gänge, steilen Treppen und zweckmäßig-spartanischen, aber gemütlichen Kammern, würde man kaum merken, dass man sich auf einem fahrenden Schiff befindet. Wind und Schneeregen über der Ostsee machten es drinnen in der großen Messe umso gemütlicher, besonders wenn sich ab und zu eine Welle in einem der Bullaugen wie in einer Waschmaschine drehte.

Ein Wiedersehen

Für mich war die kurze Ausfahrt auf der »Maria S. Merian« auch ein Wiedersehen mit alten Freunden. Ende der 70er Jahre machte eine »Ostsee-Gang« von vier Doktoranden und mir als dem Diplomanden die Labors des Sonderforschungsbereichs 93 der Universität Kiel unsicher. Wochenlange Forschungsreisen auf dem damals noch neuen, aber nur knapp 30 Meter langen und engen Forschungskutter »Littorina« schweißten zusammen. Die nicht enden wollenden Stürme waren im Sommer 1977 mitunter so heftig, dass wir in Landnähe Schutz suchen mussten, weil das Schiff nicht mehr gegen die Wellen ankam. Wegen Seekrankheit mussten die Kommilitonen mitunter meine Wache als Ausguck mit übernehmen. Einer arbeitet heute am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, einer in Brasilien und zwei am IOW. Einer dieser beiden, Bodo von Bodungen, Direktor des Instituts für Ostseeforschungs Warnemünde, ist heute der stolze Herr über die »Maria S. Merian«.


Links

Bildnachweis

Maria Sibylla Merian: Jacobus Houbraken [Public domain], via Wikimedia Commons