Kategorie: 2 Wissenschaft & Forschung

Wissenschaft, Klima, Energiewende und mehr …

Portfolio aktualisiert bei Torial

Klima – Krise, Katastrophe, Wandel, Chance

Malizia: Unite behind the Science

Neues zum Klima – jeden Freitag neu

Meine Artikel bei MIT Technology Review:

  • Klimaerwärmung,
  • Nebenwirkungen und Extremwetter,
  • Anpassung,
  • Ideen, die helfen könnten, die Auswirkungen irgendwie abzumildern.

… zu den Artikeln bei Heise Online..

Trotz durchgeimpfter Bevölkerung: Vorläufig kein Licht am Ende des Tunnels

Auch eine erfolgreiche Impfkampagne wird nicht davor schützen, dass die Epidemie immer wieder erneut aufflammt. Die AHA-Regeln – Abstand, Hände waschen, Alltag mit Maske – werden die Menschheit trotz Impfungen noch sehr lange begleiten. Auch regional begrenzte Lockdowns wird es immer wieder geben müssen.

SARS-CoV-2-Virus

SARS-CoV-2-Virus (Bild: Alissa Eckert, Dan Higgins)

Das hat ein Forschungsteam um den renommierten Mathematiker und Epidemiologen Matt Keeling vom Zeeman Institut für Systembiologie und Epidemiologie von Infektionskrankheiten an der Universität von Warwick, England, bis zum Jahr 2024 modelliert.

Das Modell bezieht sich zwar auf Großbritannien, wo bereits mehr als
26 Millionen Einwohner
mindestens eine Impfdosis erhalten haben, also fast 40 Prozent. Aber gerade deshalb lassen sich daraus durchaus Schlüsse auf die zukünftige Lage auch in Deutschland ableiten, wo derzeit mit 7,2 Millionen Impfungen nicht einmal neun Prozent ihre erste Impfspritze bekommen haben.

Sollte es nämlich keine Schutzmaßnahmen geben und die Impfungen 85 Prozent aller Infektionen verhindern, so würde der R-Wert dennoch bei um die 1,58 bleiben. Jeder Infizierte würde also rein rechnerisch nach wie vor 1,58 weitere Personen anstecken. Ohne Impfungen würde der R-Wert bei 3,15 liegen.

Dass der R-Weit sogar bei einer durchgeimpften Bevölkerung ohne Schutzmaßnahmen immer noch über 1,0 bleibt, liegt daran, dass eine Impfung nicht bei allen Menschen gleich wirkt. So würden Todesfälle insgesamt zwar radikal verhindert, aber ohne jede weitere Schutzmaßnahme würde der Anteil der vollständig Geimpften an den COVID-19-Todesfällen zwischen 48,3 und 16 Prozent liegen. Dabei haben die Forscher die höhere Infektiosität durch die Variante B.1.7.7 noch gar nicht mit eingerechnet.

Die Autoren warnen eindringlich davor, bereits jetzt in England Lockerungen einzuführen. Denn trotz des hohen Anteils an Geimpften in der Bevölkerung kann immer noch eine neue Infektionswelle aufflammen, die dann landesweit zu 1 600 Sterbefällen pro Tag führen könnte.

Bei gleich bleibendem Impffortschritt in England sollten Lockerungen erst in fünf bis zehn Monaten ins Auge gefasst werden. Rein rechnerisch würde das immer noch zu bis zu 50 Toten pro Tag bei wirklich hartem Lockdown führen, oder bis zu 450 Tote pro Tag bei moderatem Lockdown.

Veröffentlicht ist die Untersuchung im Peer-Review-Journal „The Lancet“ vom 18. März 2021.

Aktualisierung vom 2021-04-06:

„Nature“ 18. März 2021: Fünf Gründe, warum eine Covid-Herdenimmunität wahrscheinlich unmöglich ist – trotz umfangreicher, flächendeckender Impfungen. Die deutsche Übersetzung gibt es hier bei „Spektrum“.

Die fünf Gründe ergeben sich nach dem „Nature“-Artikel von 18. März 2021 aus folgenden Problemen, die die Autorin aufzählt:

  • 1. Es sei nach wie vor unklar, ob die Impfungen die weitere Übertragung verhindern. »Herdenimmunität ist nur relevant, wenn wir einen Impfstoff haben, der die Übertragung blockiert. Wenn das nicht der Fall ist, besteht die einzige Möglichkeit, eine Herdenimmunität in der Bevölkerung zu erreichen, darin, alle zu impfen«, wird Shweta Bansal zitiert, Expertin für Mathematik in der Biologie an der Georgetown University in Washington DC
  • 2. Die Impfstoffe seinen weder auf nationaler und schon gar nicht auf internationaler Ebene gleichmäßig verteilt. Über Israel, mit einer Durchimpfung von derzeit 60 Prozent, heiß es in der „Spektrum“-Übersetzung des Artikels von Aschwanden mit einem Zitat von Dvir Aran, biomedizinischer Datenwissenschaftler am Technion des Israel Institute of Technology in Haifa: „»Das Problem ist jetzt, dass die jungen Leute sich nicht impfen lassen wollen«, sagt Aran. Deshalb locken die Behörden sie mit Dingen wie Gratis-Pizza und Bier. Gleichzeitig haben Israels Nachbarn Libanon, Syrien, Jordanien und Ägypten noch nicht einmal ein Prozent ihrer jeweiligen Bevölkerung geimpft.“
  • 3. Zunehmend neue Virus-Varianten würden die Berechnungen für weitere Planungen unsicher machen. Hinzu komme, dass höhere Immunitätsraten, beispielsweise auch durch zunehmende, aber zu langsam voranschreitende Impfungen, einen Selektionsdruck erzeugen könnten, bei dem Varianten entstehen, die geimpfte Menschen erneut infizieren würden.
  • 4. Es ist nach wie vor unklar, wie lange die Impf-Immunität überhaupt anhält.
  • 5. Die Geimpften könnten ihr Verhalten ändern. Der Artikel zitiert eneut Aran mit den Worten: „Doch angenommen, er [der Impfstoff] böte 90 Prozent Schutz: »Wenn Sie vor der Impfung höchstens eine Person getroffen haben und jetzt mit der Impfung zehn Personen treffen, kommt das auf das Gleiche raus.«“

Das Resüme des Artikels ist ein Zitat des Impfstoff-Epidemiologen Stefan Flasche an der London School of Hygiene & Tropical Medicine: „Wir sollten uns also Gedanken darüber machen, wie wir mit dem Virus leben können.“ Aschwanden endet hoffnungsvoll: „Die Krankheit wird dann vielleicht nicht so bald verschwinden – ihre Bedeutung wird aber wahrscheinlich schrumpfen.“


Bild: Wikimedia-Commons: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:SARS-CoV-2_without_background.png

Ganz normale Menschen

Manche Menschen können gut und laut reden, treffen schnell Entscheidungen und bewegen sich eloquent auf Parties und Konferenzen. Das sind die Extravertierten. Manch andere Menschen halten sich zurück, bleiben im Hintergrund, beobachten, durchdenken und reflektieren. Das sind die Introvertierten und Hochsensiblen, die Korrektive der Macher. Warum das aber nicht wirklich wichtig ist.

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Hochsensibilität ist nicht ansteckend. Es ist nicht einmal eine Krankheit. Im Gegenteil: So genannte hochsensible Menschen fühlen sich eigentlich ganz wohl in ihrer Haut – falls sie nicht noch zusätzlich wirklich ernsthafte Macken mit sich herumschleppen. Dennoch haben ihre Ratgeberforen Hochkonjunktur, und professionelle wie selbst ernannte Coaches, Karriere- und Unternehmensberater wittern einen profitablen Markt. Als sei Hochsensibilität eine Behinderung oder chronische Krankheit, bieten sie beispielsweise Kurse zum Thema „Hochsensibel glücklich leben“ zu Preisen zwischen 270 und 565 Euro an.

Hochsensible gelten als zurückgezogen, in sich gekehrt, ja sogar schüchtern. Menschenansammlungen vermeiden sie, bei Teamsitzungen und auf Parties halten sie sich im Hintergrund. Gehen sie dann doch einmal aus sich heraus, wirken sie oft als arrogant, überheblich, abgehoben oder belehrend. Manch einem erscheinen sie tiefgründig und rätselhaft. Braucht aber jemand eine emotionale Stütze, so entpuppen sie sich auch als empathische Zuhörer.

So ungefähr lautet die Aufschrift auf der populärpsychologischen Schublade für Hochsensible. Es sind also ganz normale Menschen. Denn irgendwann hat jeder mal das Bedürfnis, sich zurück zu ziehen, eine langweilige Teamsitzung an sich vorüber rauschen zu lassen oder sich mit Arroganz einer nervigen Diskussion zu entziehen. Im Gegenzug können auch stille Menschen zu kommunikativer Höchstform auflaufen.

Psychologie

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Weil Hochsensibilität für das alltägliche Zusammenleben kaum eine Rolle spielt, interessieren sich nur wenige Forscher dafür, es sei denn sie können damit wissenschaftliche Sporen verdienen, etwa indem sie Beweise dafür finden, dass alle Menschen anders sind.

Warum Hochsensible so sind und ob sie so sind, wie sie scheinen, ist wissenschaftlich denn auch umstritten. Fest steht jedoch, dass es Menschen gibt, die Reize intensiver aus der Umwelt aufnehmen als andere – bis zu 300 Mal stärker als die 70 bis 85 Prozent der übrigen Menschheit. Dazu gehören auch die inneren Reize, wie Gedanken oder Gefühle, die sie deutlicher wahrnehmen und lange und gründlich reflektieren. Der Grund sind individuelle Filter im Kopf, die bei einigen Gehirnen für unwichtig gehaltene Informationen blockieren, bei anderen durchlassen. Je mehr Informationen durchkommen, desto schneller ist der Hirnspeicher voll, desto mehr Zeit und Ruhe brauchen die Hirnzellen, um die Menge und Vielfalt der Datenmenge zu verarbeiten. Als Konsequenz brauchen solche Menschen viel Zeit, um etwas zu entscheiden. Haben sie sich aber zu einem Entschluss durchgerungen, ist die Lösung in der Regel perfekt, gewissenhaft und ethisch durchdacht. Sie selbst würden sie aber wohl als Bauchgefühl bezeichnen.

Menschen mit einem solch durchlässigen Filter nehmen bei ihren Mitmenschen besonders viele, auch unbewusste Botschaften wahr, so dass bei der facettenreichen Fülle der einströmenden Eindrücke im Gehirn nur wenig Platz für enge Freunde bleibt. Bei der Masse an Signalen, die bei zwischenmenschlichen Konflikten ausgetauscht werden, kommt es bei ihnen schnell zur Überstimulation der Nervenzellen. Kein Wunder, dass sie Auseinandersetzungen meiden und so als harmoniebedürftig gelten. Auch mit ausgeprägten Alltagsroutinen vermeiden sie eine übermäßige Hirnstimulation, damit ihnen mehr Zeit, Raum und Energie zum kreativen Denken bleibt.

Dieses Sammelsurium beschreibt nur einen Teil dessen, was in populärwissenschaftlichen Online- und Offline-Traktaten gehandelt wird. Es gibt eben kein Diagnose- oder Testverfahren für Hochsensibilität. Das liegt auch daran, dass die neurowissenschaftliche Datengrundlage recht dünn ist – ein Problem vieler psychologischer Hypothesen.

Neurologie

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Die Psychologin Elaine Aron führte den Begriff 1997 als „sensory-processing sensitivity“ in die Persönlichkeitspsychologie ein. Zusammen mit ihrem Mann untersuchte sie zwar inzwischen Hunderte von Probanden, schien dabei aber nicht besonders repräsentativ vorgegangen zu sein. 

Nichtsdestotrotz sind inzwischen auch neurowissenschaftliche Grundlagenforscher dabei, sich dieser Variation menschlicher Persönlichkeitsstrukturen anzunehmen. Sowohl die Beobachtung von Kleinkindern, wie auch Genanalysen legen in der Tat nahe, dass die Ausprägungen der Hochsensibilität offenbar stark in den Genen begründet ist. Das belegen auch Beobachtungen an zahlreichen Tierarten, unter denen es immer Individuen gibt, die sich zurückhaltend und vorsichtig verhalten, und dann intuitiv ihre Gruppe vor Gefahren warnen oder sie zu übersehenen Wasserlöchern führen.

So interessant diese Forschungsergebnisse sind, mit der Einordnung tun sich die Wissenschaftler schwer. Denn möglicherweise ist Hochsensibilität ja auch nur der Unterfall eines ganz anderen psychologischen Phänomens oder ein Gemisch verschiedener Komponenten des verbreiteten psychologischen Persönlichkeitsmodells, das Big Five genannt wird.

Big Five

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Die Big Five sind fünf Persönlichkeitskategorien, die sich zwei Grundmerkmalen zuordnen lassen. Zur so genannten Plastizität einer Persönlichkeit gehören die beiden Kategorien Extraversion/Introversion und Offenheit für Neues. Zur so genannten Stabilität die drei Kategorien emotionale Ausgeglichenheit, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit.

Praktischerweise lassen sich die beiden übergeordneten Merkmale auch den beiden wichtigsten Schaltkreisen im Gehirn zuordnen, dem Serotonin- und dem Dopaminpfad. Der Botenstoff Serotonin hält das Innenleben stabil und wirkt eher hemmend. Das Dopamin dagegen gilt als Glückshormon. Bei starker Ausschüttung kurbelt es den Erkundungsdrang an, der Mensch ist auf Abenteuer aus, um sein Glück zu finden. Lässt die Menge dieses Hormons nach, ist der Mensch auch mit wenig glücklich – und seien es die eigenen Gedanken, denen der nachhängen kann.

Die Mischung und unterschiedliche Ausprägung dieser fünf Persönlichkeitsaspekte als Teile der beiden Grundmodelle Stabilität und Plastizität kann zwar im Groben viele Charakterzüge von Persönlichkeiten erklären, reicht aber bei weitem nicht aus, die vielfältige Einzigartigkeit von Menschen wirklich zu beschreiben.

Introversion

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Interessanterweise hat sich die populärpsychologische Szene aus diesem Charakterquintett die Extraversion-Introversion-Pole herausgenommen und den introversen Pol mit ähnlichen, teilweise denselben Attributen besetzt, wie sie für Hochsensibilität kursieren. Der Grund ist das erfolgreiche Selbstfindungsbuch der einstigen Rechtsanwältin Susan Cain mit dem Titel „Still: Die Kraft der Introvertierten“. Sie baut dabei auf eher historische Überlegungen zu extravertierten und introvertierten Charaktermodellen auf. Ihr Fehler ist, Introversion als geschlossenes Charakterbild zu sehen und zu ignorieren, dass bestimmte Eigenschaften, die sie Introvertierten zuschreibt, auch für andere Profile des Big-Five-Modells gelten. Beispielweise kann der Drang Introvertierter, sich zurückzuziehen, auch zur Big-Five-Eigenschaft der emotionalen Ausgeglichenheit gehören, die dem Stabilitätsstrang zuzuordnen ist. Die Extraversion-Introversion-Schaukel gehört dagegen zum Plastizitätsstrang.

Jeder ist anders

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Die Entdeckung des Hochsensiblen und Introvertierten hat an sich wenig praktische Bedeutung. Es sind eben Persönlichkeitsausprägungen, wie andere auch, wie Langschläfer und Nachtarbeiter, extravertierte Macher, kauzige Nörgler, Rechts- und Linkshänder, Naturliebhaber und Technikfreaks.

Neu ist, dass die Ratgeberindustrie Hochsensible und Introvertierte als Kunden entdeckt hat, ihnen aber einzureden versucht, dass sie ein Problem haben. Das haben sie aber meist nicht, obwohl sich viele der so Einsortierten sicherlich öfter mal eine Anerkennung für ihr reflektiertes Engagement wünschen. Die meisten fühlen sich in ihrer selbst gewählten Zurückhaltung ganz wohl, auch wenn sie manchmal glauben, auf einem anderen Stern zu leben angesichts der Leichtfertigkeit, Kurzsichtigkeit und Hektik, mit denen viele wirtschaftliche und politische Entscheidungen getroffen werden.


Wieviel bist du von andern unterschieden?
Erkenne dich, leb mit der Welt in Frieden!

Aus dem Gedicht „Zueignung“ von Johann Wolfgang Goethe


Weiter lesen:


Bild: Ranveig/Commons.Wikimedia/CC BY-SA 3.0

Skagerrak – Europas Mülltonne

Schwedische Küstenforscher schlagen Müll-Alarm. 20.000 Müllteile pro hundert Meter Strandlinie: Seit drei Jahren türmt sich an Schwedens und Norwegens Westküsten immer mehr Müll.

Noch um die Jahrtausendwende zählten die Forscher nur 1.000 bis 1.200 Müllteile auf hundert Metern, wie Per Nilsson von der Universität Göteborg am 18. April 2016 gegenüber dem schwedischen Fernsehen SVT Väst erklärte[1].

Bis zu 96 Prozent der Müllflut ist Plastik – und damit eine tödliche Gefahr für Meerestiere und Vögel. Denn sie verwechseln die Plastikteile mit Nahrung und verhungern mitunter bei vollem Magen. Schlimmer noch: Meereswellen zerreiben die Kunststoffe zu winzigen Partikeln, die sogar von mikroskopisch kleinen Krebstieren gefressen werden, die ziemlich am Anfang der marinen Nahrungsketten stehen und die Grundnahrung für Fische sind.

„Ob das jetzt ein zufälliger Anstieg oder ob es ein langfristiger Trend ist, wissen wir nicht. Aber wir sind beunruhigt,“ sagte Per Nilsson im Fernsehen. „Bohuslän, die Landschaft nördlich von Göteborg, ist eines der Gebiete, das in Europa das größte Problem hat. Hier finden wir den meisten Müll unter allen Küsten am Nordatlantik.“

Mit gerade einmal 236 Müllteilen auf 100 Meter Nordseestrand[2] oder gar nur 60 Teilen auf 100 Meter Ostseestrand[3] erscheinen die deutschen Küsten geradezu sauber. Aber nur deshalb, weil Meeresströmungen den größten Teil des Unrats von den englischen und kontinentaleuropäischen Küsten genau ins Skagerrak spülen, wo inzwischen ein ausgedehnter Müllwirbel rotiert.

Reise des Meeresmülls

Reise des Meeresmülls

In der Nordsee dreht sich nämlich die Strömung wie ein großer Kreisel gegen den Uhrzeigersinn vom Atlantik, entlang der englischen, belgischen, niederländischen, deutschen und dänischen Küsten bis hinein ins Skagerrak. Zusätzlich fängt der Strudel auch den Abfall aus der Strömung ein, die die Ostsee entlang der schwedischen Westküste verlässt. So ist es zu erklären, dass 80 Prozent des Mülls aus den nicht-skandinavischen Nord- und Ostsee-Anrainerstaaten stammen, auch aus Deutschland.

Neu ist das für Experten nicht. Neu ist die schnelle Zunahme. Erstmals berichtete vor genau drei Jahren das norwegische Fernsehen über eine besorgniserregende Beobachtung von Liv-Marit Hansen, einer Mitarbeiterin des Oslofjord-Freizeit-Rates. Bei einer einmaligen Sammelaktion an den Ufern des Schären-Nationalparks Hvaler am östlichen Eingang des Oslofjords zählte sie schon damals mehr als 20.000 Müllteile auf hundert Meter[4] – Müll der nicht aus Norwegen stammt. Aber die EU-Küstenanrainer, zu denen Norwegen nicht gehört, beginnen erst jetzt, acht Jahre nach Inkrafttreten der Europäischen Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie[5], Maßnahmen zu ergreifen, um der Meeresvermüllung Einhalt zu gebieten[6]. Doch es scheint fraglich, ob sich das Ziel erreichen lässt, in den nächsten vier Jahren die EU-Müllmengen so weit zu reduzieren, dass sie keine Gefahr mehr für Meereslebewesen und -ökosysteme darstellen.


[1] http://www.svt.se/nyheter/lokalt/vast/vastkusten-skrapigast-i-hela-europa

[2] http://www.umweltbundesamt.de/service/uba-fragen/was-ist-ueber-die-belastungssituation-der-deutschen

[3] http://www.regierung-mv.de/serviceassistent/_php/download.php?datei_id=1570123

[4] http://www.nrk.no/ostfold/mer-soppel-langs-kysten-1.10988284

[5] http://www.meeresschutz.info

[6] http://norden.diva-portal.org/smash/get/diva2:824655/FULLTEXT01.pdf


Karte: Wikimedia Commons. Halava using GRASS GIS, Inkscape and GIMP. Verändert vom Autor.

Luftverschmutzung:
Mehr als nur Volkswagen

Mit kriminellen Mitteln versuchte Volkswagen in den USA Kunden und Behörden zu täuschen. Mehr noch: Der Konzern gefährdete damit Leben. Doch Autos sind nicht die einzige Quelle für Abgase, die zu frühzeitigen Todesfällen führen. Auch Landwirtschaft und Seeschiffahrt tragen dazu bei. 

Die Nachricht von den manipulierten Abgaswerden der VW- und Audi-Dieselautos in den USA hat es am vergangenen Sonnabend endlich auch in die Tagesschau geschafft[1]. Volkswagen gab inzwischen zu, die US-Umweltschutzbehörde und das kalifornische Gremium für Luftreinhaltung hinters Licht geführt zu haben[2].

Clean Diesel Werbung von VW

Irreführende „Clean Diesel“-Werbung in den USA

Als „Clean Diesel“ beworben, verdrecken die VW- und Audi-Dieselmodelle in die USA seit sechs Jahren die Luft mit bis zu 40-mal höheren Abgaswerten als die Werbung behauptet und Prüfstandsmessungen scheinbar belegen. VW hat seiner Steuerungssoftware einen Betrugsalgorithmus eingepflanzt, der erkennt, wenn ein Fahrzeug auf dem Abgasprüfstand gecheckt wird[3]. Genau dann regelt die Software die Abgaswerte herunter.

Scheinheilig

Gestern endlich raffte sich der Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn, auch für Forschung in Entwicklung verantwortlich, zu einer Entschuldigung auf[4]. Interessanterweise betont er: „Volkswagen duldet keine Regel– oder Gesetzesverstöße jedweder Art.“ Aber genau das hat VW seit 2009 getan. Um ein derartig ausgefeiltes Betrugssystem zu installieren bedarf es einer Management-Anweisung auf recht hoher Ebene.

Clean-Diesel-VW-Golf

Noch am 10. Juli 2015 posierten Manager der Volkswagen Group of America vor einem „Clean Diesel“-Golf, der wegen seines geringen diesel-Verbrauchs ins Guiness-Buch der Rekorde kam. Foto: Volkswagen AG

Weiter heißt es in Winterkorns Entschuldigung: „… dafür alles Erforderliche tun, um Schaden abzuwenden.“ 

Dabei weiß er genau, dass das nicht möglich ist. Die Schadstoffe sind nun mal in der Luft. Allen voran Stickoxide (NOX), die zur Ozon- und Feinstaubbildung beitragen und damit zu vorzeitigen Todesfällen.

Frühzeitige Todesfälle

Jetzt liegt natürlich die Frage auf der Hand, ob Volkswagen auch in Deutschland Behörden und Kunden an der Nase herum führt und so zum frühzeitigen Tod von Menschen beiträgt. Was Volkswagen recht ist, könnte auch BMW, Ford, Mercedes und Opel billig sein.

In Deutschland sterben doppelt so viele Menschen viel zu früh an den Folgen von Autoabgasen wie an Autounfällen, nämlich rund 7.000 Menschen pro Jahr. Berechneten haben das jüngst Forscher des Max-Planck-Instituts für Chemie[5]. Weltweit tragen die Abgase aus dem Straßenverkehr mit fünf Prozent zu vorzeitigen Todesfällen bei, in Deutschland aber mit rund 20 Prozent.

Auch Landwirtschaft und Schifffahrt

Überraschenderweise ist aber die Landwirtschaft eine wichtige Ursache für schlechte Luft. Die übermäßig eingesetzten Düngemittel setzen chemische Reaktionen in Gang, die am Ende zur Bildung von Feinstaubpartikeln führen. Global gesehen ist die Landwirtschaft die Ursache von einem Fünftel aller frühzeitigen Todesfälle durch Luftverschmutzung. In Deutschland liegt dieser Anteil aber sogar bei über 40 Prozent, errechneten die Max-Planck-Forscher.

Felder

Die angeblich so sauberen Dieselmotoren von Autos, wie VW und Audi sie auf den Markt bringen, sind übrigens genauso dreckig wie die Abgase von Schiffen, unter denen viele Küstenstädte leiden. Das haben Forscher des Virtuellen Helmholtz Instituts HICE festgestellt, das von der Universität Rostock und dem Helmholtz Zentrum München geleitet wird[6]. So überrascht es nicht, dass schwedische Wissenschaftler jüngst gemessen haben, dass die Hälfte aller Nanopartikel in Küstenstädten aus der Seeschifffahrt stammt[7].

Vor diesem Hintergrund ist es völlig absurd, Kreuzfahrtschiffe bis tief hinein in Innenstädte schwimmen zu lassen, wie in Hamburg.

Schiff mit rauchendem Schornstein auf See

Steuergelder gegen Green-washing

Es wäre eine Recherche wert herauszufinden, wie viel Steuergelder ausgegeben werden, um Betrugs-, Verschleierungs- und Beschönigungsversuche (green-washing) der Industrie aufzudecken, wie jetzt am Beispiel Volkswagen geschehen. Denn Forschungsprojekte und Messkampagnen, wie die oben genannten, sind teuer. Und alles nur, weil Unternehmen die Verantwortung auf den Staat und die Bürger abwälzen und sich öffentlicher und transparenter Kontrollen an den Quellen in den Fabriken, den Produktions- und Designprozessen verweigern.


Verantwortungslos (2015-09-22)

Inzwischen hat sich auch der US-CEO von VW, Michael Horn, entschuldigt – aber nur dafür, dass VW die US-Behörden und die eigenen Kunden getäuscht hat. Kein Wort darüber, dass die Abgase nun mal in der Luft sind und allen Menschen schaden. Das hat wenig bis nicht mit sozialer und ökologischer Verantwortung zu tun, aber viel mit PR, Lüge und Green-washing.

Spiegel-Online hat gut aufgelistet, wie die Täuschung aufflog und welche gerissenen Methoden VW benutzte, um alle zu täuschen:


[1] Tagesschau (2015-09-19): Volkswagen droht Bußgeld in den USA, http://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-117929.html

[2] PLUNGIS, Jeff (2015-09-19): Volkswagen Admits to Cheating on U.S. Emissions Tests. BloomberBusiness. http://www.bloomberg.com/news/articles/2015-09-18/epa-says-volkswagon-software-circumvented-car-emissions-testing PLUNGIS; Jeff (2015-09-19): VW `Clean Diesel‘ Scheme Exposed as Criminal Charges Weighed. http://www.bloomberg.com/news/articles/2015-09-19/vw-clean-diesel-scheme-exposed-as-u-s-weighs-criminal-charges

[3] EPA California Notify Volkswagen of Clean Air Act Violations (2015-09-18): Carmaker allegedly used software that circumvents emissions testing for certain air pollutants. http://yosemite.epa.gov/opa/admpress.nsf/bd4379a92ceceeac8…35900400c27/dfc8e33b5ab162b985257ec40057813b!OpenDocument Air Resources Board (2015-09-18): Letter to CEOs of Volkswagen Group of America. http://www.arb.ca.gov/newsrel/in_use_compliance_letter.htm

[4] Statement of Prof. Dr. Martin Winterkorn, CEO of Volkswagen AG (2015-09-20): https://www.volkswagen-media-services.com/detailpage/-/detail/Statement-of-Prof-Dr-Martin-Winterkorn-CEO-of-Volkswagen-AG/view/2709406/7a5bbec13158edd433c6630f5ac445da?p_p_auth=W9vBRy1h

[5] BENNER, Susanne (2015-09-16): Pressinformation: Mehr Tote durch Luftverschmutzung. https://idw-online.de/de/news637686 Zugehörige Grafik: https://idw-online.de/de/image?id=266085&size=screen

[6] Universität Rostock (2015-06-02): Presseinformation: Internationale Messkampagne zu Gesundheitsauswirkungen von Feinstäuben. http://www.analytik-news.de/Presse/2015/324.html

[7] Ny Teknik (16 september 2015 08:30): Sjöfarten släpper ut flest farliga nanopartiklar. http://www.nyteknik.se/nyheter/energi_miljo/miljo/article3931009.ece

Klima (Woche 38)

Der Klimawandel war auch in dieser Woche kaum eine Meldung wert. Doch er macht genauso wenig Halt, wie die Flüchtlingsströme. Klimawandel und Flüchtlinge haben eines gemeinsam: Sie kommen unausweichlich. Schon lange ist klar, dass der Klimawandel extremes Wetter bringen wird und dass die reichen Länder zunehmend mehr Flüchtlinge beherbergen werden. Und das offenbar schneller als gedacht.

Düne mit wartenden Menschen

Trockenheit. Foto: Neubert

August 2015 war weltweit der zweitwärmste August seit 1880. Noch wärmer war dieser Monat nur im vergangenen Jahr. Doch die eigentlichen Wärmerekorde dieses Jahres brachten die Monate Januar mit 0,81 Grad und Februar mit 0,88 Grad über dem gobalen Mittelwert der Jahre 1951 bis 1980. Es sieht so aus, dass 2015 ein neuerliches wärmstes Jahr seit der Industrialisierung wird[1].

Mehr noch: Im Juni war die kritische Marke von 400 ppm CO2 überschritten, eine Marke, die die Politik eigentlich nicht überschreiten wollte, um das Zwei-Grad-Ziel nicht zu gefährden (ppm = Anteile pro Million anderer Teile).

Regen und Wasser. Foto: Neubert

Regen und Wasser. Foto: Neubert

Damit nicht genug: Der Erde steht jetzt noch das natürlich Klimaphänomen El Niño bevor. Eintreten wird es wohl zwischen dem kommenden Oktober und Januar. Veränderte Meeresströmungen verursachen dann eine starke Erwärmung des Ozeans auf beiden Seiten des Äquators. Die Folge: Länder am westlichen Rand des Pazifik werden Dürren erleben, während Peru und Chile mit extremen Regenfällen rechnen müssen. Beides wird erneut Menschen dazu veranlassen, sich auf die Suche nach einem besseren Platz auf der Erde zu begeben, einem besseren Leben.


[1] GLOBAL Land-Ocean Temperature Index der Nasa. http://data.giss.nasa.gov/gistemp/tabledata_v3/GLB.Ts+dSST.txt

Was in der vergangenen Woche wichtig war

Was es aus Wissenschaft und Technik in der Woche 37/2015 nicht auf die Titelseiten schaffte, aber es wert ist darüber zu berichten. Klima ist dabei natürlich ein Dauerthema. Der „Sternmensch“, Homo naledi, hat es immerhin ausführlich auf die Wissenschaftsseiten gebracht. Für die Individualität von Nanopartikeln gilt dies nicht, auch wenn es Konsequenzen für ihre Anwendung hat. Und dass Tabak wenigstens Kulturgeschichte schreibt, kann man immerhin auch als gesellschaftlichen Verdienst von Rauchern sehen.


Klima

Das Thema „Klimawandel“ ist eigentlich ein Dauerthema und jeden Tag, jede Woche wichtig. Gerade auch jetzt, wo Flüchtlinge, Willkommenskultur und Fremdenfeindlichkeit die Titelseiten beherrschen. Genauso wie die Völkerwanderung aus Kriegsgebieten ins reiche Europe vorhersehbar waren, genauso ist vorhersehbar, dass schon bald auch zunehmend mehr Klimaflüchtlinge die Festung Europa stürmen und erobern werden. „Klimabedingte Flucht ist ein weitgehend unterschätztes Phänomen. Wir sprechen von Millionen“, sagte der Völkerrechtler Walter Kälin kürzlich in einem Interview[1].

Die Fakten liegen in zahlreichen Forschungsergebnissen auf dem Tisch. Besonders jetzt vor dem Klimagipfel in Paris im kommenden November, hat die Zahl der wissenschaftlichen Veröffentlichung noch einmal zugenommen. Niemand kann heute mehr sagen, er hätte es nicht gewusst.

Dennoch geht der Ausstoß des wichtigsten Klimagases, das die Menschheit beeinflussen kann, munter weiter. Die CO2-Konzentration lag an der Standard-Messstation Mauna Loa auf Hawaii in Woche zwischen dem 30. August und dem 6. September mit durchschnittlich 398,49 ppm um 2,37 ppm über dem Wert des Vorjahres im gleichen Zeitraum. „ppm“ bedeutet, „parts per million“, also ein Molekül CO2 auf eine Million anderer anderer Luftmoleküle. Das ist ziemlich viel, betrug ihr Anteil in vorindustrieller Zeit, also vor etwa 1850, doch nur rund 280 ppm. Beim Weltkongress in Rio im Juni 1992 waren es dann es schon 364 ppm. Um das politische Zwei-Grad-Ziel mit einer Wahrscheinlichkeit von 70 Prozent einzuhalten, müsste die Konzentration unter 400 ppm bleiben. Das war im Juni 2015 aber bereits überschritten. Mehr dazu bei CO2Now.


Atmospheric CO2 data


Homo naledi

Skelett Homo naledi (Photo by John Hawks/University of Wisconsin-Madison)

Skelett Homo naledi (Photo by John Hawks/University of Wisconsin-Madison)

Am vergangenen Donnerstag veröffentlichte das Fachblatt eLife die Entdeckung einer neuen Menschenart. Die Forscher um Lee R. Berger tauften sie „Homo naledi“[2].

In einem Höhlensystem namens „Rising Star“ in Südafrika fanden die Wissenschaftler 1550 Knochenstücke, die sie 15 Individuen zuordnen konnten. „Naledi“ heißt auf Sesotho „Stern“. Noch weiß man nicht genau, wann dieser 1,50 Meter große, 45 Kilogramm leichte und mit einem orangengroßen Gehirn ausgestatte Verwandte gelebt hat.


Jedes Nanopartikel ist einzigartig

Nanopartikel derselben Größe, aus demselben Material und mit derselben Form können dennoch sehr äußerst verschiedenen Eigenschaften haben. Zumindest gilt das erst einmal für Partikel, die Wasserstoffgas binden. An ihnen wird geforscht, weil sie in Zukunft eine wichtige Rolle bei der Entwicklung einer sicheren Wasserstoffzukunft spielen sollen, beispielsweise beim Transport und der Lagerung von Wasserstoff, für bessere Katalysatoren oder in Brennstoffzellen und als besonders empfindliche Sensoren.

Doch alle Nanopartikel weisen von Beginn an verschiedene Fehler in ihrem Atomgitter auf, die sie für eine Anwendung mehr oder (meist) weniger geeignet machen.

Entdeckt haben diese unerwünschten Eigenschaften Forscher um Christoph Langhammer von der Chalmers Universität in Göteborg, Schweden. Denn mit den herkömmlichen mikroskopischen Methoden sind die Fehler in den Partikeln nicht erkennbar. Die Wissenschaftler untersuchten stattdessen das Verhalten von Plasmonen. Was das Photon für die Messung elektrischer Schwingungen ist, ist ein Plasmon für die Messung von Schwingungen in einem atomaren Metallgitter. Sie werden als elementare Quasiteilchen bezeichnet, deren Verhalten Auskunft über die Ladungsträgerdichte in Halbleitern, Metallen und Isolatoren gibt[3].


Tabak historisch

Buchveröffentlichung: An der Kulturgeschichte des Tabaks lassen sich soziale und kulturelle Veränderungen in Europa und der Welt nachzeichnen. Auf die Idee muss man erst einmal kommen.

Im 16. Jahrhundert gelangte Tabak als „braunes Gold“ in die vornehmen Kreise Europas. Von da an sollte das nikotinhaltige Pflanzenprodukt die „Genusskultur“ vieler Menschen über Generationen hinweg bestimmen. Ab dem Ende des 20. Jahrhunderts wurde Tabak dann zunehmend stigmatisiert und als gesundheitliches Übel der Moderne dargestellt[4].


[1] KÄLIN, Walter im Interview: Wir sprechen von Millionen. Akzente 3/2015, Das Magazin der GIZ, S. 25.

[2] BERGER, Lee R, et.al. (2015): Homo naledi, a new species of the genus Homo from the Dinaledi Chamber, South Africa. eLife 2015;4:e09560, DOI: http://dx.doi.org/10.7554/eLife.09560, http://elifesciences.org/content/4/e09560.full

[3] KARLSSON-OTTOSSON, Ulla (2015): Forskare avslöjar: Varje nanopartikel är unik. Ny Teknik 2015-09-07 http://www.nyteknik.se/nyheter/innovation/forskning_utveckling/article3928261.ece

[4] JACOB, Frank; Gerrit Dworok (Hrsg. 2015):  Tabak und Gesellschaft. Vom braunen Gold zum sozialen Stigma. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2015, 406 Seiten, Band 1 der Reihe „Wissen über Waren – Historische Studien zu Nahrungs- und Genussmitteln“, 78,00 Euro, ISBN 978-3-8487-1628-9.

1987: Als Dschibuti noch keine Festung war

Der einheimische Polizist war jung, sehr jung. Und hungrig. Wir saßen im Restaurant des Flughafens von Dschibuti und hatten ihn zum Frühstück eingeladen. Hier zu essen hatte er sich bisher nicht leisten können. Die Preise hätten wahrscheinlich einen nennenswerten Teil seines kargen Monatslohns verschlungen. Sein Englisch war leidlich und er war stolz, uns führen zu dürfen.

Er kam ins Erzählen: Die Deutschen würde er ganz besonders lieben, die seien großartig. Sie hätten ihn ausgebildet, und deshalb sei er ja jetzt ein so guter Polizist. – Deshalb also war die Dschibuti-Polizei in VW-Golfs unterwegs.
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Probefahrt

Hamburg 2006-02-10: Ein Schnäppchen ist dieses Fahrzeug nicht gerade, zumal es nicht einmal so stark beschleunigt wie ein Radfahrer und mit seiner Höchstgeschwindigkeit von 28 Kilometern pro Stunde selbst in einer verkehrsberuhigten Zone den Verkehr behindern.

Dennoch ist es das reinste Vergnügen, dieses nagelneue, großzügig ausgestattete High-Tech-Fahrzeug Probe zu fahren. Ans Steuer durfte ich natürlich nicht, denn der stolze Besitzer fürchtete, dass sein Neuerwerb Schrammen oder gar Beulen bekommen könnte. Abgesehen davon: Auf ein Steuerrad hat man völlig verzichtet, dafür aber gleich drei Fahrersitze vor den übersichtlich angeordneten Armaturen der über zehn Meter breiten Konsole angeordnet.

Das kann man für einen Kaufpreis von 56,4 Millionen Euro aber auch schon verlangen. Schließlich ist das Fahrzeug fast 95 Meter, 19 Meter breit und wird von 5.700 Kilowatt (7.650 PS) angetrieben. Dennoch dürfen normalerweise nur 46 Personen darauf fahren.

Forschungsschiff »Maria S. Merian«

Ja, ein Schiff, ein Forschungsschiff. Der erste Neubau für die deutsche Meeresforschung seit 15 Jahren. Am 26. Juli 2005 taufte es die ehemalige Forschungsministerin Edelgard Bulmahn auf den Namen »Maria S. Merian«. Gestern, am 9. Februar 2006 wurde das neue Forschungsschiff in Warnemünde der Wissenschaft übergeben. Ein Geschwader von 18 Schiffen, allen voran das Forschungsschiff »Alkor« des Kieler Instituts für Meereskunde-Geomar, holte sie bei regnerischem, ein wenig stürmischen Wetter auf See ab und geleitete sie zum Passagierkai Liegeplatz 7 von Rostock-Port, dem Aida Cruise Terminal. Von Bord des Fischeischutzbootes »Seeadler«, einem mächtigen, über 70 Meter langen, grau-schwarzen Wachboot, das üblicherweise seine Kontrollfahrten bis zu den Fischgründen bei Grönland ausdehnt, konnte eine Gruppe von Wissenschaftsjournalisten, darunter auch ich, der ersten Begegnung mit dem neuen Forschungsschiff unter trübem Himmel beiwohnen.

Forscherin und Künstlerin

Nach dem Flaggenwechsel hielten Prof. Dr. Frieder Meyer-Krahmer, Staatssekretär im Bundesbildungsministerium, Dr. Harald Rengstorff, Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Prof. Dr. Ernst-Ludwig Winnacker, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), und Prof. Dr. Bodo von Bodungen, Direktor des Leibnitz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) ihre Übergabereden.

Winnacker ging dabei auf den überaus interessanten Lebenslauf der schon zu ihrer Zeit bekannten Künstlerin und Naturforscherin Maria Sibylla Merian ein, die 1647 in Frankfurt geboren wurde, 1699 mit ihrer jüngsten Tochter eine Expedition ins Hinterland von Suriname unternahm und 1717 in Amsterdam starb. Mehr über diese außergewöhnliche Frau kann man in der Wikipedia erfahren.

Mit einstündiger Verspätung legte die »Maria S. Merian« zu ihrer vierstündigen Gästeausfahrt auf die Ostsee ab. Mit dabei: Schülerinnen und Schüler von deutschen Schulen, die ebenfalls nach Maria S. Merian benannt sind. In den nagelneuen, blitzsauberen Labors zeigten Wissenschaftler, für welche Arbeiten sie die neue Forschungsplattform in Zukunft nutzen werden.

Ebenfalls an Bord: »Mr. Methanhydrat« Prof. Dr. Gerhard Bohrmann von der Universität Bremen, Romanheld im Bestseller »Der Schwarm« von Frank Schätzing (s.a. Hanns-J. Neubert (1997): Energie vom Meeresboden (GEO 3/1997))

Fahreigenschaften

Rein äußerlich zeigt schon der Knicksteven, wo einmal das Haupteinsatzgebiet der »Maria S. Merian« liegen wird: Am Eisrand der Arktis und im nördlichen Golfstrom. Eine Eisdicke von 50 Zentimetern zu brechen, soll kein Problem sein. Vom geräumigen Hangar auf dem Arbeitsdeck können Wasserschöpfer direkt außenbords gefahren werden, während Wissenschaftler und Techniker vor Sturm, Wellen und Kälte geschützt bleiben.

Auch wenn das neue Eisrandforschungsschiff nun wirklich kein Luxusliner ist, eines hat es mit der berühmten »Queen Mary 2« gemeinsam: Den POD-Antrieb. Bei diesem Schiffsantrieb hängt der Propeller, direkt angetrieben von einem Elektromotor, an einer drehbaren Gondel unter dem Schiff an einer besonders strömungsgünstigen Stelle. Die Gondel lässt sich um 360 Grad drehen, ein Ruder ist überflüssig. Vielmehr lässt sich ein damit ausgerüstetes Schiff »auf dem Teller« wenden, kann sogar seitwärts fahren. Solche Antriebe sparen nicht nur bis zu 10 Prozent Treibstoff, sie sind auch äußerst geräusch- und vibrationsarm — ein enormer Vorteil für Forschungsarbeiten mit empfindlichen Messgeräten oder an Mikroskopen.

Das zeigte sich während der Ausfahrt in die kabbelige Ostsee. Wären da nicht die engen Gänge, steilen Treppen und zweckmäßig-spartanischen, aber gemütlichen Kammern, würde man kaum merken, dass man sich auf einem fahrenden Schiff befindet. Wind und Schneeregen über der Ostsee machten es drinnen in der großen Messe umso gemütlicher, besonders wenn sich ab und zu eine Welle in einem der Bullaugen wie in einer Waschmaschine drehte.

Ein Wiedersehen

Für mich war die kurze Ausfahrt auf der »Maria S. Merian« auch ein Wiedersehen mit alten Freunden. Ende der 70er Jahre machte eine »Ostsee-Gang« von vier Doktoranden und mir als dem Diplomanden die Labors des Sonderforschungsbereichs 93 der Universität Kiel unsicher. Wochenlange Forschungsreisen auf dem damals noch neuen, aber nur knapp 30 Meter langen und engen Forschungskutter »Littorina« schweißten zusammen. Die nicht enden wollenden Stürme waren im Sommer 1977 mitunter so heftig, dass wir in Landnähe Schutz suchen mussten, weil das Schiff nicht mehr gegen die Wellen ankam. Wegen Seekrankheit mussten die Kommilitonen mitunter meine Wache als Ausguck mit übernehmen. Einer arbeitet heute am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, einer in Brasilien und zwei am IOW. Einer dieser beiden, Bodo von Bodungen, Direktor des Instituts für Ostseeforschungs Warnemünde, ist heute der stolze Herr über die »Maria S. Merian«.


Links

Bildnachweis

Maria Sibylla Merian: Jacobus Houbraken [Public domain], via Wikimedia Commons