Das Wissenschaftsjahr »Zukunftsstadt«[1] geht zu Ende. Es war ein Markt technokratischer Eitelkeiten und die PR-Kampagne für zahlreiche Smart-City-Initiativen, darunter die »Morgenstadt«[2] der Fraunhofer Gesellschaft. Was bleibt hat wenig mit der Stadt als Lebensraum und noch weniger mit dem Leben der Menschen zu tun. Ja, es hat nicht einmal zum umfassenden Nachdenken über eine Stadt der Zukunft für Menschen gereicht.
Der Hype um die Optimierung der Städte durch Technik verspricht vor allem eins: Viel Geld für die großen Informationstechnologie-Konzerne. Im Mittelpunkt: Vor Allem digitale Produkte, die man den Kommunen verkaufen kann, aber nie die Möglichkeiten und Wünsche der Menschen. Erfahrungen von Stadtplanern und Architekten, Erkenntnisse von Soziologen und Humanwissenschaftlern: Allenfalls Randnotizen.
Zwar haben auch Planer und Baumeister in der Vergangenheit teure Fehler gemacht, als sie in den 1950er und 1960er Jahren der Philosophie Le Corbusiers folgend autogerechte Städte planten und durchsetzten. Aber viele von ihnen haben seitdem aus den Fehlern gelernt.
Solche Erfahrungen haben die neuen IT-Stadtplaner noch nicht sammeln könnten, ja, sie berücksichtigen nicht einmal, dass groß angelegte, modische Veränderungsprozesse zu gewaltigen Fehlentwicklungen führen können. Allumfassend zu reflektieren gehört eben nicht zum Ingenieursdenken, das allein auf Effizienz getrimmt ist.
Mehr als Technik
So lieferte denn auch das Wissenschaftsjahr »Zukunftsstadt« nur mehr von Gewöhnlichen. Die Ingenieure öffneten ihre Werkzeugkisten und zeigten, was sie damit alles machen können. So lud man Bürger beispielsweise zur Ausstellung auf dem Binnenschiff »MS Wissenschaft« ein, um die Ideen von rund 30 wissenschaftlichen, zumeist ingenieurwissenschaftlichen Instituten anzuschauen und damit herumzuspielen. Das nannte sich dann »mitgestalten« – aber eben nur mit den angebotenen Spielzeugen.
Dass eine gute Stadt mehr braucht, als digitale Vernetzungen, Big-Data-Algorithmen, futuristische Fahr- und Flugzeuge oder künstliche Natur, blieb außen vor. Weit weg auch der Gedanke, dass Ineffizienz auch Freiraum bedeutet, in dem die Menschen ihre Lebensräume frei gestalten, Trampelpfade durch den Großstadtdschungel schlagen, die weder Kameras noch Sensoren erfassen.
Innovation statt Stadt
In ihrer »Nationalen Plattform Zukunftsstadt« hat die Bundesregierung denn auch klargestellt, dass es gar nicht um die Städte geht, sondern darum, »neue Strategien für Forschung und Innovation in Deutschland zu entwickeln«[3].
Als übergreifendes Szenario musste immer wieder die Prognose herhalten, dass 70 Prozent der neun Milliarden Menschen im Jahre 2050 in Städten leben werden. Aber es wachsen in erster Linie nur die Städte in den armen Ländern. Die aber entsprechen schon heute nicht dem Stadtverständnis von Europäern und Nordamerikanern, bei denen die Mittelstädte sogar schrumpfen.
Die Weltbank zeigte in einer Studie, dass die meisten Stadtbewohner in armen Ländern hier nicht ihre permanente Heimat finden, sondern zwischen Stadt und Land migrieren[4].
Unberücksichtigt auch, das selbst die Bewohner in den Slums der Megastädte und der tristen Stadtrandsiedlungen vielleicht Lösungen für lebenswerte Orte bereithalten. Das war nur Thema des Dokumentarfilms »Slums: Cities Of Tomorrow«[5], nicht aber der »Zukunftsstadt«. Was Ingenieure in Deutschland entwickeln und im Wissenschaftsjahr 2015 zeigten, dürfte die Probleme der wachsenden Städte wohl kaum lösen.
Ganzheitlicher Umbau statt Technokratie
Aus der Masse der Daten, die schon heute in einer Stadt anfallen, wie Stromverbrauchszeiten, Fußgänger- und Verkehrsströme, Wasser- und Abwasserflüsse oder Wärmeverteilung, lassen sich höchstens Algorithmen konstruieren, die die Organisation effizienter machen. Sie mögen zur klimatischen Nachhaltigkeit beitragen, aber die Qualität des Lebens in den Städte verbessern sie nicht.
Das wissen auch Kommunalpolitiker, wie Hilmar von Lojewski, Leiter des Dezernats Stadtentwicklung, Bauen, Wohnen und Verkehr beim Deutschen Städtetag: »Was die Industrie anbietet ist in der Regel nicht unbedingt maßgeschneidert. Das ist eben nicht ein ganzheitlicher Umbau einer Stadt, sondern das sind immer Teilbereiche.« Und weiter: »Die Städte sind nicht das Labor, um das zu erproben, was man dann international vermarktet. Deshalb sind wir da auch zurückhaltend, ohne aber technologiefeindlich zu sein.«
Daten statt Sehen
Big-Data-Analysen reichen eben nicht aus. Nirgendwo während des Wissenschaftsjahres »Zukunftsstadt« war zu lesen, dass sich Stadtplaner für Tage oder Wochen an Straßen oder Plätze setzten und einfach nur beobachteten und protokollierten, wie sich die Menschen dort bewegen, welche Stellen sie vermeiden, wo sie gerne stehen bleiben, wo Jugendliche sich zurückziehen, wie und wo sie bei Regen oder Sonne gehen, wo und wann sie sich irgendwo hinsetzen.
Dabei ist genau das das Erfolgsrezept der Kopenhagener Agentur »Gehl Architects«. »Nebenbei kommen dann schon erste Gedanken, wie und wo man etwas verbessern kann,« so ihr Gründer Jan Gehl, der nicht nur Kopenhagen zur freundlichsten Stadt für Fußgänger und Radfahrer umgestaltete, sondern auch die Autos vom New Yorker Times Square verbannte. Seine Idee der »Stadt für Menschen« fiel bei zahlreichen Stadtverwaltungen weltweit auf fruchtbaren Boden, wie beispielsweise in Melbourne, Moskau, Vancouver, San Francisco und Sao Paulo.
Das Wissenschaftsjahr »Zukunftsstadt« ist großartig gescheitert. Es gab nur technokratische Angebote, aber keine, die die Nachfragen befriedigen konnten, für Probleme, für die sich die Menschen Lösungen für ihre eigene Stadt, ihr eigenes Quartier wünschen.
[1] Wissenschaftsjahr 2015 »Zukunftsstadt«, eine Initiative des Bundesmininsteriums für Bildung und Forschung: https://www.wissenschaftsjahr-zukunftsstadt.de
[2] Morgenstadt-Initiative des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation: http://www.morgenstadt.de
[3] Nationale Plattform Zukunftsstadt: https://www.wissenschaftsjahr-zukunftsstadt.de/uebergreifende-infos/das-wissenschaftsjahr-partner/nationale-plattform-zukunftsstadt.html
[4] World Bank Group (2015): East Asia’s Changing Urban Landscape: Measuring a Decade of Spatial Growth. Washington, DC: World Bank. https://openknowledge.worldbank.org/handle/10986/21159,License: CC BY 3.0 IGO.
[5] Slums: Cities of tomorrow: http://www.filmfesthamburg.de/de/programm/Film/21910/Bidonville_architectures_de_la_ville_future
Bilder:
1. Songdo Banner“ von https://www.flickr.com/photos/sharonhahndarlin/ – https://www.flickr.com/photos/sharonhahndarlin/8965716074/. Lizenziert unter CC BY 2.0 über Wikimedia Commons
2. Spontane Stadtentwicklung in Nairobi (Kenya 2005)“ by Piergiorgio Rossi – produzione propria. Licensed under Public Domain via Wikimedia Commons
3. Hanns-J. Neubert