Wissenschaft interessiert die Menschen. Dennoch misstrauen sie ihr. Schlimmer noch: Viele fühlen sich von ihr allein gelassen. Forscher reden zu wenig über ihre Arbeit, Bürger dürfen zu wenig mitbestimmen. Das aktuelle »Wissenschaftsbarometer 2016« bleibt zwar oberflächlich, kann aber dennoch ein paar Denkanstöße liefern.
Über das aktuelle »Wissenschaftsbarometer 2016«, Anfang Juli veröffentlicht von Wissenschaft im Dialog, wurde schon einiges geschrieben. Besonders kritisch betrachtet Hanno Charisius in der Süddeutschen die Ergebnisse. Martin Ballaschk dagegen, Blogger bei SciLogs, versucht den Ergebnissen Gutes abzugewinnen – verständlich angesichts seiner Position als Redakteur des Marketing-Magazins »MDC Insights« des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft.
Vertrauensfrage schön geredet
Der Umfrage zufolge finden 70 Prozent der Befragten, dass Wissenschaft ganz allgemein nützlich ist, zumindest aber nicht schadet. Daraus zu folgern, »dass die Menschen in Deutschland der Wissenschaft überwiegend vertrauen«, wie Bundesforschungsministerin Johanna Wanka in der Pressemitteilung ihres Ministeriums zitiert wird, ist aber denn doch reichlich schön geredet.
Denn zur Vertrauensfrage stand eine ganz andere Aussage zur Wahl: »Die Menschen vertrauen zu sehr der Wissenschaft und nicht genug ihren Gefühlen und dem Glauben«. 38 Prozent stimmten diesem Satz zu, 32 Prozent fanden ihn falsch, der Rest war sich nicht sicher, ob dem so ist. Als Vertrauensbeweis für die Wissenschaft reicht das nun wirklich nicht aus.
Noch skurriler erscheint Wankas Interpretation angesichts der Antworten zu den – leider nur vier – Schwerpunktthemen. Bei den erneuerbaren Energien trauen 53 Prozent den Forschern und Entwicklern – eine nicht besonders überzeugende Mehrheit.
Weit erschreckender ist das Misstrauen gegenüber den Wissenschaftlern, die den Klimawandel erforschen. Immerhin sind sie es, die die wissenschaftlichen Grundlagen für den Ausbau der grünen Energien liefern. Satte 59 Prozent wissen entweder nicht so richtig, was sie von den Erkenntnissen der Klimaforschung halten sollen, oder sie sind sogar äußerst argwöhnisch.
Lichtblick: Das Interesse wächst
Trotz der Ambivalenz in Bezug auf das Vertrauensverhältnis zwischen Bürgern und Wissenschaft ist es immerhin erfreulich, dass sich zunehmend mehr Menschen für Wissenschaft interessieren. Waren es 2014 noch 33 Prozent gewesen, so sind es bei der aktuellen Umfrage immerhin schon 41 Prozent der Befragten – was aber auch bedeutet, dass sich die Mehrheit nicht oder nicht besonders für natur-, sozial- und geisteswissenschaftliche Themen interessiert.
Ganz nebenbei: Es wäre sicherlich sinnvoller gewesen, zwischen industrieller (einschließlich Fraunhofer-Gesellschaft) und universitärer (einschließlich Max-Planck-Gesellschaft) Forschung und Wissenschaft zu unterscheiden. So pauschal, wie das Wissenschaftsbarometer diese beiden Welten über einen Kamm schert, lassen sich auch nur pauschale und wenig wegweisende Erkenntnisse aus den Statements der Umfrage ziehen.
Sprengstoff Beteiligung
Nicht zu verhehlendes Misstrauen gegenüber Wissenschaft, dennoch ein großes Interesse daran. Das enthält Sprengstoff. Die Meinungen zum gesellschaftlichen Fragenkomplex deuten denn auch schon an, wo es schief läuft.
40 Prozent der Befragten wollen sich mehr beteiligen, wenn es um Entscheidungen über Wissenschaft und Forschung geht. 30 Prozent haben noch nicht so richtig darüber nachgedacht. Vermutlich würden sie aber durchaus mehr mitreden, wenn es um Themen ginge, die ihren Alltag betreffen, und wenn sie die Gelegenheit dafür bekämen.
Fast ebenso viele, wie sich mehr Mitspracherecht wünschen, glauben, dass sich die Wissenschaftler zu wenig darum bemühen, die Öffentlichkeit über ihre Arbeit zu informieren, 39 Prozent. Im Klartext heißt das, dass die Wissenschaftskommunikation trotz aller organisatorischen und motivierenden Anstrengungen, trotz enormer finanzieller Aufrüstung in den vergangenen zehn Jahren, es noch immer nicht geschafft hat, alle Menschen mitzunehmen. Die Gründe sind eigentlich klar: Wissenschaftskommunikation passiert noch immer von oben herab und Forscher, die sich in der Wissenschaftskommunikation versuchen, sind oft eher Selbstdarsteller oder Belehrer, die sich wenig für die echten Anliegen ihres Laienpublikums interessieren.
Sei es aus Misstrauen, sei es aus Interesse an der Wissenschaft: 76 Prozent der befragten Bürger sind dagegen, dass Politik und Wirtschaft über die Verwendung von Forschungsmitteln entscheiden. 44 Prozent finden, die Bürger sollten entscheiden, 32 Prozent, dass es die Wissenschaft tun sollte. Der naheliegende Schluss wäre, dass sich Bürger und Wissenschaftler zusammentun, um gemeinsam Forschungsthemen zu entwickeln und sich über die notwendigen Gelder zu einigen. Für die Grundlagenforschung ist das sicherlich keine Bedrohung. Denn eine aufgeklärte Gesellschaft weiß sehr wohl zu schätzen, dass es Forscher gibt, die danach suchen, was die Welt im Innersten zusammen hält. Astrowissenschaften und Teilchenforschung sind Themen, die viele Menschen interessieren.
Mängel des Umfragedesigns
Als wichtigste Forschungsthemen für die Zukunft haben sich vor allem Gesundheit und Ernährung (42 Prozent), aber auch Klima und Energie (35 Prozent) herausgeschält. Schade, dass die vier Themen den Befragten nur als zwei zusammenhängende Themenbereiche präsentiert wurden, der Bereich Mobilität (3 Prozent) aber extra thematisiert wurde.
Damit haben die Entwickler der Umfrage technische mit sozialen und regulatorischen Themen vermischt. Entsprechend wenig aussagekräftig sind denn auch die Ergebnisse – ein eklatanter Mangel des Umfragedesigns.
Eine weitere Chance haben die Designer der Erhebung vertan, als sie dem gesellschaftlich ausgerichteten Themenkomplex den Titel »Wissenschaft in der Gesellschaft« gaben und dabei den komplementären Blickwinkel »Gesellschaft in der Wissenschaft« ignorierten. So reduzierten sie die Aussageblöcke nur auf »Mitentscheidung«. Und das bedeutet ja im Sinne des fälschlicherweise viel gelobten Prinzips von verantwortlicher Forschung und Innovation (RRI): Die Forscher suchen sich ihre eigenen Forschungsgebiete, die sie an den vorgegebenen Förderprogrammen ausrichten, in die Fördermittel je nach politischer Präferenz gelenkt werden. Sind die Projekte definiert, dürfen die Bürger dann unbezahlt beim Feinschliff helfen, was allenfalls marginale Änderungen des Forschungsdesigns bewirkt, wenn überhaupt.
So finden deshalb auch 46 Prozent der Befragten, dass sie nicht genügend in Entscheidungen einbezogen werden, weitere 28 Prozent sind sich unsicher. Schade, dass sie nicht nach ihren ureigenen Anliegen und Problemen befragt wurden, die vielleicht einer wissenschaftlichen Lösung bedürfen.
Das Umfragedesign ist leider in überholten Denkmustern gefangen und nähert sich deshalb kaum den wahren, durchaus auch entschiedenen Meinungen der Befragten. Für die Herausgeber ist das natürlich bequem, denn dadurch lassen die bunten Grafiken reichlich Spielraum für Spekulationen in jede Richtung, wie die Interpretationen von Wanka über Ballaschk bis Charisius zeigen.