Hamburg 2006-02-10: Ein Schnäppchen ist dieses Fahrzeug nicht gerade, zumal es nicht einmal so stark beschleunigt wie ein Radfahrer und mit seiner Höchstgeschwindigkeit von 28 Kilometern pro Stunde selbst in einer verkehrsberuhigten Zone den Verkehr behindern.
Dennoch ist es das reinste Vergnügen, dieses nagelneue, großzügig ausgestattete High-Tech-Fahrzeug Probe zu fahren. Ans Steuer durfte ich natürlich nicht, denn der stolze Besitzer fürchtete, dass sein Neuerwerb Schrammen oder gar Beulen bekommen könnte. Abgesehen davon: Auf ein Steuerrad hat man völlig verzichtet, dafür aber gleich drei Fahrersitze vor den übersichtlich angeordneten Armaturen der über zehn Meter breiten Konsole angeordnet.
Das kann man für einen Kaufpreis von 56,4 Millionen Euro aber auch schon verlangen. Schließlich ist das Fahrzeug fast 95 Meter, 19 Meter breit und wird von 5.700 Kilowatt (7.650 PS) angetrieben. Dennoch dürfen normalerweise nur 46 Personen darauf fahren.
Forschungsschiff »Maria S. Merian«
Ja, ein Schiff, ein Forschungsschiff. Der erste Neubau für die deutsche Meeresforschung seit 15 Jahren. Am 26. Juli 2005 taufte es die ehemalige Forschungsministerin Edelgard Bulmahn auf den Namen »Maria S. Merian«. Gestern, am 9. Februar 2006 wurde das neue Forschungsschiff in Warnemünde der Wissenschaft übergeben. Ein Geschwader von 18 Schiffen, allen voran das Forschungsschiff »Alkor« des Kieler Instituts für Meereskunde-Geomar, holte sie bei regnerischem, ein wenig stürmischen Wetter auf See ab und geleitete sie zum Passagierkai Liegeplatz 7 von Rostock-Port, dem Aida Cruise Terminal. Von Bord des Fischeischutzbootes »Seeadler«, einem mächtigen, über 70 Meter langen, grau-schwarzen Wachboot, das üblicherweise seine Kontrollfahrten bis zu den Fischgründen bei Grönland ausdehnt, konnte eine Gruppe von Wissenschaftsjournalisten, darunter auch ich, der ersten Begegnung mit dem neuen Forschungsschiff unter trübem Himmel beiwohnen.
Forscherin und Künstlerin
Nach dem Flaggenwechsel hielten Prof. Dr. Frieder Meyer-Krahmer, Staatssekretär im Bundesbildungsministerium, Dr. Harald Rengstorff, Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Prof. Dr. Ernst-Ludwig Winnacker, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), und Prof. Dr. Bodo von Bodungen, Direktor des Leibnitz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) ihre Übergabereden.
Winnacker ging dabei auf den überaus interessanten Lebenslauf der schon zu ihrer Zeit bekannten Künstlerin und Naturforscherin Maria Sibylla Merian ein, die 1647 in Frankfurt geboren wurde, 1699 mit ihrer jüngsten Tochter eine Expedition ins Hinterland von Suriname unternahm und 1717 in Amsterdam starb. Mehr über diese außergewöhnliche Frau kann man in der Wikipedia erfahren.
Mit einstündiger Verspätung legte die »Maria S. Merian« zu ihrer vierstündigen Gästeausfahrt auf die Ostsee ab. Mit dabei: Schülerinnen und Schüler von deutschen Schulen, die ebenfalls nach Maria S. Merian benannt sind. In den nagelneuen, blitzsauberen Labors zeigten Wissenschaftler, für welche Arbeiten sie die neue Forschungsplattform in Zukunft nutzen werden.
Ebenfalls an Bord: »Mr. Methanhydrat« Prof. Dr. Gerhard Bohrmann von der Universität Bremen, Romanheld im Bestseller »Der Schwarm« von Frank Schätzing (s.a. Hanns-J. Neubert (1997): Energie vom Meeresboden (GEO 3/1997))
Fahreigenschaften
Rein äußerlich zeigt schon der Knicksteven, wo einmal das Haupteinsatzgebiet der »Maria S. Merian« liegen wird: Am Eisrand der Arktis und im nördlichen Golfstrom. Eine Eisdicke von 50 Zentimetern zu brechen, soll kein Problem sein. Vom geräumigen Hangar auf dem Arbeitsdeck können Wasserschöpfer direkt außenbords gefahren werden, während Wissenschaftler und Techniker vor Sturm, Wellen und Kälte geschützt bleiben.
Auch wenn das neue Eisrandforschungsschiff nun wirklich kein Luxusliner ist, eines hat es mit der berühmten »Queen Mary 2« gemeinsam: Den POD-Antrieb. Bei diesem Schiffsantrieb hängt der Propeller, direkt angetrieben von einem Elektromotor, an einer drehbaren Gondel unter dem Schiff an einer besonders strömungsgünstigen Stelle. Die Gondel lässt sich um 360 Grad drehen, ein Ruder ist überflüssig. Vielmehr lässt sich ein damit ausgerüstetes Schiff »auf dem Teller« wenden, kann sogar seitwärts fahren. Solche Antriebe sparen nicht nur bis zu 10 Prozent Treibstoff, sie sind auch äußerst geräusch- und vibrationsarm — ein enormer Vorteil für Forschungsarbeiten mit empfindlichen Messgeräten oder an Mikroskopen.
Das zeigte sich während der Ausfahrt in die kabbelige Ostsee. Wären da nicht die engen Gänge, steilen Treppen und zweckmäßig-spartanischen, aber gemütlichen Kammern, würde man kaum merken, dass man sich auf einem fahrenden Schiff befindet. Wind und Schneeregen über der Ostsee machten es drinnen in der großen Messe umso gemütlicher, besonders wenn sich ab und zu eine Welle in einem der Bullaugen wie in einer Waschmaschine drehte.
Ein Wiedersehen
Für mich war die kurze Ausfahrt auf der »Maria S. Merian« auch ein Wiedersehen mit alten Freunden. Ende der 70er Jahre machte eine »Ostsee-Gang« von vier Doktoranden und mir als dem Diplomanden die Labors des Sonderforschungsbereichs 93 der Universität Kiel unsicher. Wochenlange Forschungsreisen auf dem damals noch neuen, aber nur knapp 30 Meter langen und engen Forschungskutter »Littorina« schweißten zusammen. Die nicht enden wollenden Stürme waren im Sommer 1977 mitunter so heftig, dass wir in Landnähe Schutz suchen mussten, weil das Schiff nicht mehr gegen die Wellen ankam. Wegen Seekrankheit mussten die Kommilitonen mitunter meine Wache als Ausguck mit übernehmen. Einer arbeitet heute am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, einer in Brasilien und zwei am IOW. Einer dieser beiden, Bodo von Bodungen, Direktor des Instituts für Ostseeforschungs Warnemünde, ist heute der stolze Herr über die »Maria S. Merian«.
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Bildnachweis
Maria Sibylla Merian: Jacobus Houbraken [Public domain], via Wikimedia Commons