Der Glaube an technische Lösungen zur Bewältigung des Klimawandels hat seit 40 Jahren dazu beitragen, dass notwendige kulturelle, soziale und politische Transformationen versäumt wurden.
Seit über 120 Jahren hat die Menschheit eine Ahnung davon, wie das Klima der Erde funktioniert. 1896 hatte nämlich der Physiker und Chemiker Svante Arrhenius ein erstes, sehr einfaches Klimamodell veröffentlicht. Mit dem 3. Sachstandsbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses über den Klimawandel (IPCC) von 2001 wurde endgültig klar, dass der Mensch mit großer Sicherheit das Klima beeinflusst.
Aber es war schlimmer als gedacht: In einem Update von 2009 zum 4. Sachstandsbericht mussten die IPCC-Autoren zugeben, dass ihre Modelle die Auswirkungen der Klimaerwärmung noch viel zu milde berechnet hatten. Das Arktiseis verschwand um 40 Prozent schneller, der Meeresspiegel dagegen stieg um 80 Prozent stärker an, als die Modelle errechnet hatten.
Dabei hatten sich 1979 bereits Experten zur Ersten Weltklimakonferenz (WCC1) zusammengefunden, um Möglichkeiten zu diskutieren, wie man die vom Menschen verursachten Klimaveränderungen eindämmen könnte. Sie warnten bereits damals vor den Folgen der bis heute weiter zunehmende Verbrennung fossiler Brennstoffe.
40 Jahre kein Weiterkommen
Seit mindestens 40 Jahren wurden bis heute keine nennenswerten Schritte zur Eindämmung des CO2-Anstiegs unternommen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil die Technik mit immer neuen Ideen kam, wie sich das CO2 aus der Atmosphäre entfernen lassen könnte. Nur damit die Industrie mit weiterhin steigender Kohle-, Öl- und Gasverbrennung wachsen kann.
Es waren allesamt leere Versprechungen. Dazu gehören Kernfusion, gigantische Anlagen mit CO2-Saugern, Wiederherstellung von Eisflächen mit Millionen von windbetriebenen Pumpen, Partikel in die Stratosphäre sprühen, Ozeane mit Eisen düngen, riesige Landflächen mit Wald bepflanzen oder mit Basaltkies bestreuen. Den Apologeten war weder die Zeitdimension klar, in der gehandelt werden muss, noch welche enormen Flächen für die Ernährung verloren gehen würden oder dass in Pflanzen gebundener Kohlenstoff dort auch wieder frei wird.
Folgen leerer Versprechungen
Der fatale Effekt: Die politischen Entscheider glaubten, dass die Technik es schon richten wird. Das befördert seit 40 Jahren eine Politik der Aufschiebung, der Definition immer neuer Klimaziele und vor allem falsche Anpassungsentscheidungen.
Akribisch nachweisen konnten das jetzt Duncan McLaren und Nils Markusson vom Umweltzentrum der Universität Lancaster in ihrem Artikel „Die Co-Evolution technologischer Versprechen, Modellierung, Politik und Klimawandelziele“, schienen in „Nature Climate Change“ (https://doi.org/10.1038/s41558-020-0740-1).
Duncan erforscht Gerechtigkeitsfragen des Climate Engineering, Markusson die Politik der Umwelttechnik.
Sie stellen fest, dass die fatale gemeinsame Entwicklung von Zielen, Modellen und Technologien letzten Endes dazu führt, notwendige Handlungen zu verzögern.
In ihrem Artikel heißt es: „Jedes neue Versprechen konkurriert nicht nur mit existierenden Ideen, sondern spielt auch jeden Sinn für die Dringlichkeit herunter und ermöglicht so immer wieder das Hinauszögern politischer Ziele für Klimamaßnahmen. Es zersetzt damit auch das gesellschaftliche Engagement für sinnvolle Antworten.“
Die Kurve flach halten
Hier drängt sich die Analogie zur Corona-Krise auf: Die Kurve flach halten. Aufs Klima bezogen: Die Erwärmung so niedrig halten, dass die Menschheit es gerade noch so ertragen kann.
Es waren gesellschaftliche Verhaltensänderungen, die die Kurve der Infektionen flach hielten, damit das Gesundheitssystem nicht zusammenbricht. Technische Lösungen allein, wie einfacher Mund-Nasenschutz könnten dagegen dazu verführen, nicht mehr den physischen Abstand einhalten zu müssen, um Infektionen zu verringern. Zuerst kamen also die Verhaltensänderungen, dann erst technische und organisatorische Lösungen, die sich aber je nach zukünftigen Trends fexibel und adäquat anpassen lassen.
„Unsere Hoffnungen auf immer neue Technologien zu stützen ist nicht weise. Stattdessen ist es lebenswichtig, eine breite Entwicklung sowohl von Verhaltens- wie auch technologischen Antworten auf den Klimawandel zu ermöglichen“, resümieren Duncan und Markusson.
Aber genau das konterkarierte Bundeskanzlerin Angela Merkel jetzt auf dem diesjährigen Petersberger Klimadialog. „Es gehe ihr darum, ‚deutlich zu machen, dass wir nicht etwa am Klimaschutz sparen, sondern in zukuftsfähige Technologien investieren‘„, zitierte die Taz am 28. April 2020 aus ihrem Redebeitrag.
Ergänzung 2020-05-05: Den Kindern und Jugendlichen der Fridays-fo-Future-Bewegung ist schon länger klar, dass das Warten auf technische Lösungen die Bedrohung durch den Klimawandel eher verstärkt – bevor Duncan McLaren und Nils Markusson jetzt auch den oben dargestellten wissenschaftlichen Hintergrund publizierten.
Am Tag, bevor die EU-Kommission am 4. März 2020 ihren Vorschlag für ein erstes europäisches Klimagesetz im Rahmen des European Green Deal vorstellte, schrieben sie einen offenen Brief an die Führungskräfte der EU. Darin heißt es:
„Und solange wir nicht über die Technologien verfügen, mit denen wir unsere Emissionen im großen Maßstab auf ein Minimum reduzieren können, können wir die „Nullbilanz“ oder „Kohlenstoffneutralität“ vergessen. Wir brauchen eine echte Null. […]
Und da diese Technologien für negative Emissionen, auf die Sie Ihr ganzes Vertrauen gesetzt haben, heute in dieser Größenordnung nicht existieren, müssen wir einfach damit aufhören, bestimmte Dinge zu tun. Auch wenn das bedeutet, dass wir unsere Wirtschaft verändern müssen.“
Dieser Text erschien auch auf https://teli.de