Kategorie: Deutsch

Wissenschaft, Klima, Energiewende und mehr …

Portfolio aktualisiert bei Torial

Klima – Krise, Katastrophe, Wandel, Chance

Malizia: Unite behind the Science

Neues zum Klima – jeden Freitag neu

Meine Artikel bei MIT Technology Review:

  • Klimaerwärmung,
  • Nebenwirkungen und Extremwetter,
  • Anpassung,
  • Ideen, die helfen könnten, die Auswirkungen irgendwie abzumildern.

… zu den Artikeln bei Heise Online..

Trotz durchgeimpfter Bevölkerung: Vorläufig kein Licht am Ende des Tunnels

Auch eine erfolgreiche Impfkampagne wird nicht davor schützen, dass die Epidemie immer wieder erneut aufflammt. Die AHA-Regeln – Abstand, Hände waschen, Alltag mit Maske – werden die Menschheit trotz Impfungen noch sehr lange begleiten. Auch regional begrenzte Lockdowns wird es immer wieder geben müssen.

SARS-CoV-2-Virus

SARS-CoV-2-Virus (Bild: Alissa Eckert, Dan Higgins)

Das hat ein Forschungsteam um den renommierten Mathematiker und Epidemiologen Matt Keeling vom Zeeman Institut für Systembiologie und Epidemiologie von Infektionskrankheiten an der Universität von Warwick, England, bis zum Jahr 2024 modelliert.

Das Modell bezieht sich zwar auf Großbritannien, wo bereits mehr als
26 Millionen Einwohner
mindestens eine Impfdosis erhalten haben, also fast 40 Prozent. Aber gerade deshalb lassen sich daraus durchaus Schlüsse auf die zukünftige Lage auch in Deutschland ableiten, wo derzeit mit 7,2 Millionen Impfungen nicht einmal neun Prozent ihre erste Impfspritze bekommen haben.

Sollte es nämlich keine Schutzmaßnahmen geben und die Impfungen 85 Prozent aller Infektionen verhindern, so würde der R-Wert dennoch bei um die 1,58 bleiben. Jeder Infizierte würde also rein rechnerisch nach wie vor 1,58 weitere Personen anstecken. Ohne Impfungen würde der R-Wert bei 3,15 liegen.

Dass der R-Weit sogar bei einer durchgeimpften Bevölkerung ohne Schutzmaßnahmen immer noch über 1,0 bleibt, liegt daran, dass eine Impfung nicht bei allen Menschen gleich wirkt. So würden Todesfälle insgesamt zwar radikal verhindert, aber ohne jede weitere Schutzmaßnahme würde der Anteil der vollständig Geimpften an den COVID-19-Todesfällen zwischen 48,3 und 16 Prozent liegen. Dabei haben die Forscher die höhere Infektiosität durch die Variante B.1.7.7 noch gar nicht mit eingerechnet.

Die Autoren warnen eindringlich davor, bereits jetzt in England Lockerungen einzuführen. Denn trotz des hohen Anteils an Geimpften in der Bevölkerung kann immer noch eine neue Infektionswelle aufflammen, die dann landesweit zu 1 600 Sterbefällen pro Tag führen könnte.

Bei gleich bleibendem Impffortschritt in England sollten Lockerungen erst in fünf bis zehn Monaten ins Auge gefasst werden. Rein rechnerisch würde das immer noch zu bis zu 50 Toten pro Tag bei wirklich hartem Lockdown führen, oder bis zu 450 Tote pro Tag bei moderatem Lockdown.

Veröffentlicht ist die Untersuchung im Peer-Review-Journal „The Lancet“ vom 18. März 2021.

Aktualisierung vom 2021-04-06:

„Nature“ 18. März 2021: Fünf Gründe, warum eine Covid-Herdenimmunität wahrscheinlich unmöglich ist – trotz umfangreicher, flächendeckender Impfungen. Die deutsche Übersetzung gibt es hier bei „Spektrum“.

Die fünf Gründe ergeben sich nach dem „Nature“-Artikel von 18. März 2021 aus folgenden Problemen, die die Autorin aufzählt:

  • 1. Es sei nach wie vor unklar, ob die Impfungen die weitere Übertragung verhindern. »Herdenimmunität ist nur relevant, wenn wir einen Impfstoff haben, der die Übertragung blockiert. Wenn das nicht der Fall ist, besteht die einzige Möglichkeit, eine Herdenimmunität in der Bevölkerung zu erreichen, darin, alle zu impfen«, wird Shweta Bansal zitiert, Expertin für Mathematik in der Biologie an der Georgetown University in Washington DC
  • 2. Die Impfstoffe seinen weder auf nationaler und schon gar nicht auf internationaler Ebene gleichmäßig verteilt. Über Israel, mit einer Durchimpfung von derzeit 60 Prozent, heiß es in der „Spektrum“-Übersetzung des Artikels von Aschwanden mit einem Zitat von Dvir Aran, biomedizinischer Datenwissenschaftler am Technion des Israel Institute of Technology in Haifa: „»Das Problem ist jetzt, dass die jungen Leute sich nicht impfen lassen wollen«, sagt Aran. Deshalb locken die Behörden sie mit Dingen wie Gratis-Pizza und Bier. Gleichzeitig haben Israels Nachbarn Libanon, Syrien, Jordanien und Ägypten noch nicht einmal ein Prozent ihrer jeweiligen Bevölkerung geimpft.“
  • 3. Zunehmend neue Virus-Varianten würden die Berechnungen für weitere Planungen unsicher machen. Hinzu komme, dass höhere Immunitätsraten, beispielsweise auch durch zunehmende, aber zu langsam voranschreitende Impfungen, einen Selektionsdruck erzeugen könnten, bei dem Varianten entstehen, die geimpfte Menschen erneut infizieren würden.
  • 4. Es ist nach wie vor unklar, wie lange die Impf-Immunität überhaupt anhält.
  • 5. Die Geimpften könnten ihr Verhalten ändern. Der Artikel zitiert eneut Aran mit den Worten: „Doch angenommen, er [der Impfstoff] böte 90 Prozent Schutz: »Wenn Sie vor der Impfung höchstens eine Person getroffen haben und jetzt mit der Impfung zehn Personen treffen, kommt das auf das Gleiche raus.«“

Das Resüme des Artikels ist ein Zitat des Impfstoff-Epidemiologen Stefan Flasche an der London School of Hygiene & Tropical Medicine: „Wir sollten uns also Gedanken darüber machen, wie wir mit dem Virus leben können.“ Aschwanden endet hoffnungsvoll: „Die Krankheit wird dann vielleicht nicht so bald verschwinden – ihre Bedeutung wird aber wahrscheinlich schrumpfen.“


Bild: Wikimedia-Commons: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:SARS-CoV-2_without_background.png

Vergesst die Versprechungen der Technik

Der Glaube an technische Lösungen zur Bewältigung des Klimawandels hat seit 40 Jahren dazu beitragen, dass notwendige kulturelle, soziale und politische Transformationen versäumt wurden.

Plasmakammer von ITER

ITER Plasmakammer (Credit © ITER Organization)

Seit über 120 Jahren hat die Menschheit eine Ahnung davon, wie das Klima der Erde funktioniert. 1896 hatte nämlich der Physiker und Chemiker Svante Arrhenius ein erstes, sehr einfaches Klimamodell veröffentlicht. Mit dem 3. Sachstandsbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses über den Klimawandel (IPCC) von 2001 wurde endgültig klar, dass der Mensch mit großer Sicherheit das Klima beeinflusst.

Aber es war schlimmer als gedacht: In einem Update von 2009 zum 4. Sachstandsbericht mussten die IPCC-Autoren zugeben, dass ihre Modelle die Auswirkungen der Klimaerwärmung noch viel zu milde berechnet hatten. Das Arktiseis verschwand um 40 Prozent schneller, der Meeresspiegel dagegen stieg um 80 Prozent stärker an, als die Modelle errechnet hatten.

Dabei hatten sich 1979 bereits Experten zur Ersten Weltklimakonferenz (WCC1) zusammengefunden, um Möglichkeiten zu diskutieren, wie man die vom Menschen verursachten Klimaveränderungen eindämmen könnte. Sie warnten bereits damals vor den Folgen der bis heute weiter zunehmende Verbrennung fossiler Brennstoffe.

40 Jahre kein Weiterkommen

Seit mindestens 40 Jahren wurden bis heute keine nennenswerten Schritte zur Eindämmung des CO2-Anstiegs unternommen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil die Technik mit immer neuen Ideen kam, wie sich das CO2 aus der Atmosphäre entfernen lassen könnte. Nur damit die Industrie mit weiterhin steigender Kohle-, Öl- und Gasverbrennung wachsen kann.

Es waren allesamt leere Versprechungen. Dazu gehören Kernfusion, gigantische Anlagen mit CO2-Saugern, Wiederherstellung von Eisflächen mit Millionen von windbetriebenen Pumpen, Partikel in die Stratosphäre sprühen, Ozeane mit Eisen düngen, riesige Landflächen mit Wald bepflanzen oder mit Basaltkies bestreuen. Den Apologeten war weder die Zeitdimension klar, in der gehandelt werden muss, noch welche enormen Flächen für die Ernährung verloren gehen würden oder dass in Pflanzen gebundener Kohlenstoff dort auch wieder frei wird.

Folgen leerer Versprechungen

Der fatale Effekt: Die politischen Entscheider glaubten, dass die Technik es schon richten wird. Das befördert seit 40 Jahren eine Politik der Aufschiebung, der Definition immer neuer Klimaziele und vor allem falsche Anpassungsentscheidungen.

Akribisch nachweisen konnten das jetzt Duncan McLaren und Nils Markusson vom Umweltzentrum der Universität Lancaster in ihrem Artikel „Die Co-Evolution technologischer Versprechen, Modellierung, Politik und Klimawandelziele“, schienen in „Nature Climate Change“ (https://doi.org/10.1038/s41558-020-0740-1).
Duncan erforscht Gerechtigkeitsfragen des Climate Engineering, Markusson die Politik der Umwelttechnik.

Sie stellen fest, dass die fatale gemeinsame Entwicklung von Zielen, Modellen und Technologien letzten Endes dazu führt, notwendige Handlungen zu verzögern.

In ihrem Artikel heißt es: „Jedes neue Versprechen konkurriert nicht nur mit existierenden Ideen, sondern spielt auch jeden Sinn für die Dringlichkeit herunter und ermöglicht so immer wieder das Hinauszögern politischer Ziele für Klimamaßnahmen. Es zersetzt damit auch das gesellschaftliche Engagement für sinnvolle Antworten.“

Die Kurve flach halten

Hier drängt sich die Analogie zur Corona-Krise auf: Die Kurve flach halten. Aufs Klima bezogen: Die Erwärmung so niedrig halten, dass die Menschheit es gerade noch so ertragen kann.

Es waren gesellschaftliche Verhaltensänderungen, die die Kurve der Infektionen flach hielten, damit das Gesundheitssystem nicht zusammenbricht. Technische Lösungen allein, wie einfacher Mund-Nasenschutz könnten dagegen dazu verführen, nicht mehr den physischen Abstand einhalten zu müssen, um Infektionen zu verringern. Zuerst kamen also die Verhaltensänderungen, dann erst technische und organisatorische Lösungen, die sich aber je nach zukünftigen Trends fexibel und adäquat anpassen lassen.

„Unsere Hoffnungen auf immer neue Technologien zu stützen ist nicht weise. Stattdessen ist es lebenswichtig, eine breite Entwicklung sowohl von Verhaltens- wie auch technologischen Antworten auf den Klimawandel zu ermöglichen“, resümieren Duncan und Markusson.

Aber genau das konterkarierte Bundeskanzlerin Angela Merkel jetzt auf dem diesjährigen Petersberger Klimadialog. „Es gehe ihr darum, ‚deutlich zu machen, dass wir nicht etwa am Klimaschutz sparen, sondern in zukuftsfähige Technologien investieren‘„, zitierte die Taz am 28. April 2020 aus ihrem Redebeitrag.


Ergänzung 2020-05-05: Den Kindern und Jugendlichen der Fridays-fo-Future-Bewegung ist schon länger klar, dass das Warten auf technische Lösungen die Bedrohung durch den Klimawandel eher verstärkt – bevor Duncan McLaren und Nils Markusson jetzt auch den oben dargestellten wissenschaftlichen Hintergrund publizierten.

Am Tag, bevor die EU-Kommission am 4. März 2020 ihren Vorschlag für ein erstes europäisches Klimagesetz im Rahmen des European Green Deal vorstellte, schrieben sie einen offenen Brief an die Führungskräfte der EU. Darin heißt es:

„Und solange wir nicht über die Technologien verfügen, mit denen wir unsere Emissionen im großen Maßstab auf ein Minimum reduzieren können, können wir die „Nullbilanz“ oder „Kohlenstoffneutralität“ vergessen. Wir brauchen eine echte Null. […]

Und da diese Technologien für negative Emissionen, auf die Sie Ihr ganzes Vertrauen gesetzt haben, heute in dieser Größenordnung nicht existieren, müssen wir einfach damit aufhören, bestimmte Dinge zu tun. Auch wenn das bedeutet, dass wir unsere Wirtschaft verändern müssen.“


Dieser Text erschien auch auf https://teli.de

Parkplatz ist kein Menschenrecht

Öffentlicher Raum ist kostbar. Er gehört den Menschen und nicht den Autos. Straßen nehmen schon genug Platz weg. Da müssen nicht all die unbenutzten Blechkarossen auch noch die Straßenränder blockieren. Am 21. September 2018 findet der „International Park(ing) Day“ statt. An dem Tag werden Autoparkplätze zu Treffpunkten – leider nur einige wenige.

Ein volles Drittel aller Privatautos in Großstädten werden an einem durchschnittlichen Wochentag gar nicht benutzt. Nur 23 Prozent der Privatwagen werden mehr als eine Stunde am Tag bewegt. Dass Autos Stehzeuge für Solisten sind, wie das Portal Mobilogisch sie nennt, ist nicht neu. In schneereichen Winterwochen kann jeder selbst zählen, wie viele geparkte Autos entlang von Wohnstraßen tagelang nicht von ihrer Schneedecke befreit werden.

Wie selbstverständlich glauben Autobesitzer, dass es ihr Recht sei, zwölf und mehr Quadratmeter öffentlichen Raumes dauerhaft für sich privat zu beanspruchen. In Einkaufsstraßen werden zwar geringe Parkgebühren fällig, die in öffentliche Kassen fließen, aber in Wohngebieten kostet es nichts.

Ein Autoparkplatz ist zwischen elf und 14 Quadratmeter groß. Angesichts immer größerer Blechkisten wird das bald nicht mehr reichen. Mieter in Hamburg zahlen als Nettokaltmiete meist so zwischen 7,35 und 12,32 EUR pro Quadratmeter, sehr oft auch mehr.

Übertragen auf einen Parkplatz müsste ein Autobesitzer ohne eigenen Garagenplatz also zwischen 80,85 und 142,48 EUR monatlich für seinen Stellplatz zahlen.

Berücksichtigt man allerdings, dass dieser Platz auch für Wohnhäuser nutzbar wäre, so käme man in einer zwölfstöckigen Hochhausumgebung, wie den Grindelhochhäusern, auf 980 bis 2.070 EUR pro Monat, in einem einer vierstöckig bebauten Viertel immer noch auf 328 bis 690 Euro pro Monat.

Das wäre viel Geld für die Kommunen, die in bessere öffentliche Dienstleistungen investiert werden könnten – falls die Bewohner in einer Straße sich nicht doch lieber für Grünflächen und Treffpunkte entscheiden.

Eine Verknappung des Parkraums kann natürlich auch die Wahl des Verkehrsmittels stark beeinflussen und dazu führen, dass die meisten Strecken wieder zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden.

Kurioserweise bieten aber sogar ökologisch orientierte Geschäfte, wie Biomärkte, ihren Kunden an, kostenlos zu parken. Indirekt animieren sie also dazu, mit dem Auto zum Einkaufen zu fahren und entsprechen so der Karikatur von Ökobewussten, die mit ihrem SUV beim Bioladen vorfahren. Dabei dürfte der Einzugsbereich dieser Läden wohl eher nur lokal sein, so dass man allenfalls aufs Fahrrad zu steigen brauchte.

Am dritten Freitag in jedem September nehmen deshalb überall auf der Erde Menschen ihr Recht wahr, sich im öffentlichen Raum frei zu bewegen und aufzuhalten – auch und gerade dort, wo Autobesitzer glauben, das alleinige Recht zum Zuparken zu haben.

Weltweite Aktionen zum internationalen Park(ing) Day liefern Suchmaschinen.

Fotos: Hanns-J. Neubert

Nur für Eliten? Oder können Wissenschaftsjournalisten auch verständlich schreiben?

Wissenschaftsjournalisten und -kommunikatoren ignorieren, dass 40 Prozent der arbeitenden Bevölkerung ihre Botschaften nicht verstehen. Es gibt aber Darstellungsformen, um auch diese Bürger zu erreichen, damit sie mitreden können.

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Für wen schreiben Wissenschaftsjournalisten eigentlich? Wen erreichen Wissenschaftskommunikatoren?

Mehr als ein oder zwei Millionen Menschen dürften die populären, gedruckten Wissenschafts- und Technikmagazine wohl kaum erreichen. Mal abgesehen von den speziellen Nerd-Magazinen für Computer-, Handy-, Eisenbahn-, Flugzeug- und Modellbaufans. Vermutlich bringen es auch die Wissenschaftsseiten der Tages- und Wochenblätter auf kaum mehr Leser.

Demgegenüber stehen aber 7,5 Millionen Menschen, die überhaupt nicht richtig lesen können. Dazu noch einmal mehr als 13 Millionen, denen das Lesen Mühe macht und die es deshalb vermeiden, überhaupt zu lesen.

Schreiben für Wenige

Zusammengenommen sind das 40 Prozent der Deutschen zwischen 18 und 64 Jahren, die nicht richtig lesen können, geschweige denn, den Sinn von Gelesenen verstehen. Keine kleine Minderheit also.

Wissenschaftsjournalisten lassen diese Menschen allein. Es sind gerade die so genannten Qualitäts-Printmedien, die sich in der Wissenschaftsberichterstattung einer ausgefeilten Sprache bedienen. Sie entspricht nur selten den journalistischen Stilkriterien von Direktheit, Kürze, Prägnanz und Klarheit. Längere verschachtelte Sätze sind fast üblich und manch ein Autor versucht sogar mit Wortspielen und Anspielungen literarische Glanzlichter zu setzen.

Das sei den Blättern unbenommen, bedienen sie doch ein Klientel, dass durchaus auch Lust an er Sprache und der Ausdruckskraft geschriebener Texte hat.

Wer nicht lesen kann, ist noch lange nicht dumm

Wenn jemand aber nicht richtig lesen kann, vermag er zwar einzelne Wörter, oft auch kurze Sätze zu lesen und zu verstehen, aber komplizierte Sätze und lange Texte überfordern ihn. Es sind Menschen, die das Lesen nie richtig gelernt oder schon wieder verlernt haben, es sind Lern- und leicht geistig Behinderte, aber auch Migranten.

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Nicht lesen zu können heißt noch lange nicht, dumm zu sein. Auch diese Menschen, die nun wirklich keine Minderheit sind, haben ein Recht darauf, informiert zu werden, damit sie an öffentlichen Diskursen teilzunehmen können.

Seit einiger Zeit bemühen sich viele Wissenschaftsjournalisten redlich darum, mehr gesellschaftlich relevante Themen aufzugreifen, anstatt nur das Echo der Aufmerksamkeitsmaschine des Wissenschafts- und Forschungssystems zu sein.

Das ist gut. Aber wenn 40 Prozent der Menschen im Arbeitsalter diesen Themen gar nicht folgen können, bleiben Wissen und Teilhabe an öffentlichen Diskursen weiterhin auf die Bildungseliten beschränkt. Und diesen Eliten, zu denen auch die Journalisten selbst gehören, ist selten klar, wie es um Lebenswirklichkeit in den unteren Etagen steht. Kein Wunder, wenn diese Publikumsferne dazu beiträgt, dass Mythen und Verschwörungstheorien vor allem in den sozialen Netzwerken um sich greifen.

Lösung: Leichte Sprache?

Vielleicht wäre eine Darstellungsform, wie sie das „Netzwerk Leichte Sprache“ seit 2006 propagiert und entwickelt, eine Möglichkeit, auch die zahlreichen Bürger mit Forschungsthemen zu erreichen, die Schwierigkeiten mit dem Lesen haben.

Bemühungen gibt es bereits. So führte die Journalistin Cornelia Reichert von „Wortboten“ bereits 2013 die Verwendung leichter Sprache auf der Konferenz der Wissenschaftsjournalisten „Wissenswerte“ in einem Werkstattgespräch vor.

Erste Plattformen in leichter oder einfacher Sprache gibt es inzwischen zumindest für allgemeine Nachrichten- und Berichtsthemen, wie etwa beim Deutschlandfunk mit seiner Webseite „Nachrichten leicht“. Die Texte stehen hier zusätzlich als langsam und deutlich gesprochene Audiodateien zur Verfügung. Aber eigene Nachrichten aus der Forschung fehlen noch.

Audio und Video neu denken

Man könnte meinen, dass es ja Radio, Fernsehen und Mediatheken für die gibt, die nicht lesen können.

Doch so einfach ist die Sache nicht. Auch da ist die Sprache in der Regel nicht einfach und oft zu schnell. Im Radio werden redundante Informationen gerade bei Live-Beiträgen zu selten eingesetzt. Das Fernsehen liefert immer schnellere Schnittfolgen, und Sprache und Bild stimmen oftmals nicht gut überein.

Somit sind auch hier neue Stil- und Sprachformen nötig. Wie das geht, haben die Journalistinnen Anika Assfalg und Kerstin Pasemann im vergangenen Jahr schon mal gezeigt: Wissenschaftsjournalismus in „Leichter Sprache“ im Radio – ein Experiment für mehr Barrierefreiheit.

Wissenschaftsjournalische Grundlagen

Es sollte für Journalisten im Grunde gar nicht so schwer sein, leicht verständlich zu schreiben und zu reden. Man muss sich ja vielleicht nicht unbedingt buchstabengetreu an den strengen Regelkatalog des „Netzwerks Leichte Sprache“ halten, wie es das Portal „Nachrichten leicht“ auch nicht tut. Schließlich ist Verständlichkeit ja eine Grundregel journalistischer Darstellung: Kurze Sätze von nicht mehr 15 Wörtern, keine Schachtelsätze, Aktiv statt Passiv, keine Substantiv- und Genitivketten, konkret statt allgemein, Adjektive auf Informationsgehalt prüfen. Damit dürfte der Sprung zu einer noch leichteren Darstellungsform nicht schwer sein. Leichte und einfache Sprache sind im Grunde nichts anderes, als diese Kriterien wortwörtlich zu nehmen und darüber hinaus ein paar spezielle Wortregelungen, beispielsweise Trennung langer Wörter, und eine einfachere Artikelstruktur zu beachten, wie ein Gedanke, eine Zeile.

Und die Wissenschaftskommunikation?

Bei den Wissenschaftkommunikatoren tut sich bisher offenbar gar nichts. Die Initiative der deutschen Wissenschaft „Wissenschaft im Dialog“ und das „Nationale Institut für Wissenschaftskommunikation“ verzichten sogar auf die Eigendarstellung ihrer Tätigkeiten in leichter Sprache, wie es selbst bei Behörden üblich ist.

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Nicht manipulieren

Eine Gefahr leicht verständlicher Darstellungsformen soll aber nicht verhehlt werden: Je leichter verständlich ein Text formuliert ist, desto einfacher lässt er sich für Manipulationen missbrauchen. Denn Nuancen kann man damit nicht gut ausdrücken. Das zeigen schon die recht einfach gehaltenen Texte der Bild-Zeitung. In leichter oder einfacher Sprache zu schreiben, erfordert von den Autoren also ein besonderes Verantwortungsbewusstsein, damit sie die Kernaussagen eines Themas nicht in eine falsche Richtung lenken.

Neue Einsicht

Ganz nebenbei: Quellen unter dem Blickwinkel der leichten Sprache zu analysieren, kann sogar für die Autoren selbst äußerst erhellend sein, wie das Beispiel einer Pressemitteilung des VW-Konzerns von 22. April 2016 zeigt, die „Brand Eins“ in leichte Sprache übersetzte: „Volkswagen ist traurig“.


Literatur:
GROTLÜSCHEN, Anke, Wibke Riekmann (Hrsg. 2014): Funktionaler Analphabetismus in Deutschland. Ergebnisse der ersten leo-Level-One Studie. Herausgegeben vom Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung e.V. Waxmann-Verlag, Münster. PDF


Bildnachweise (von oben nach unten):
– Reading Newspaper in Addis Abeba: Terje Skjerdal, CC BY 2.0, Wikimedia Commons
– Lesen gefährdet die Dummheit: Carschten, Wikimedia Commons
– Christopher Kloeble beim Lesen: Stephan Röhl, CC BY-SA 2.0, Wikimedia Commons


Aktualisierung:
2016-11-18 Die Aussagen zur Wissenschaftskommunikation wurden geändert. Gleichzeitig wurde stärker verdeutlicht, dass es in der Tat noch einer zusätzlichen Anstrengung bedarf, um von den Grundregeln journalistischer Darstellung, wie kurze Sätze, Aktiv statt Passiv, usw., zur wirklich leichten Sprache zu gelangen.

Zehn Jahre nach Al Gores Präsentation und Film „The Inconvenient Truth“ (Unbequeme Wahrheit) wurde es Zeit die Welt erneut aufzurütteln. Jetzt ist es Leonardo DiCaprio, der am 30 Oktober 2016 seinen Film „Before the Flood“ (Vor der Flut) veröffentlichte. Binnen zwei Tagen klickten rund 5,5 Millionen Zuschauer den spielfilmlangen Dokumentarfilm mit seinen beeindruckenden Bildern und Aussagen an. – Aber: Es sind gerade die „Grün“ wählenden und denkenden Bürger, die sich sicherlich auch besonders bei Klimawochen engagieren, die am häufigsten ins Flugzeug steigen. Auch beim Energieverbrauch gibt es Korrelationen: Je höher Einkommen und formale Bildung, umso höher das Umweltbewusstsein, umso höher aber auch der Energieverbrauch – wenn man von einer kleinen Gruppe konsequent Handelnder absieht.

Weiterlesen auf: Wissenschaftsdebatte.de

Sprechstunde mit 90 Experten

Einen echten Experten für einen Euro mieten. Mit ihm oder ihr eine halbe Stunde von Angesicht zu Angesicht reden: Das konnte man am 21. Oktober 2016 im Kulturzentrum Kampnagel in Hamburg

Wer immer schon mal mit einem Profi über Behinderung, Prothesen, Cyborgs, Körperverbesserung, die Zukunft der Technik, Ethik, Kultur und Philosophie reden wollte, bekam auf auf der Kampnagel-Veranstaltung die Gelegenheit dazu. Egal, ob jemand Wissensfragen hatte oder vorhatte, mit einem Fachmenschen eigene Gedanken und Ideen zu bereden, der konnte sich aus 90 Experten den passenden auswählen und mit ihm eine halbe Stunde Redezeit buchen.

Damit nicht genug: Wer einfach nur zuhören wollte, der lieh sich einen Radioempfänger mit Kopfhörer. Auf sieben Kanälen konnte man sich in ausgesuchte Zwiegespräche einwählen. Für Hörbehinderte standen Gebärdendolmetscher bereit, einige von ihnen übersetzten gut sichtbar ausgewählte Diskussionen in den Publikumsraum hinein. Auf einer großen Leinwand rollte zusätzlich eines der Gespräche schriftlich ab.

216 Einzelgespräche an einem Abend

Die „Klienten“ genannten Teilnehmer buchten sich beim Empfang ihren Experten, dem sie dann an einem von 36 Tischen gegenüber sitzen durften. Über sechs Runden hinweg wechselten die Gesprächspartner alle halbe Stunde, so dass an dem Abend Gelegenheit für insgesamt für 216 Gespräche war. Auf den Sitzstufen im Publikumsbereich saßen im Halbdunkel noch mindestens ebensoviele Zuschauer und lauschten in ihre Kopfhörer.

Bereits 19mal wurde dieses Gesprächsformat unter dem Titel „Schwarzmarkt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen“ in aller Welt inszeniert. Diesmal in Hamburg unter der Titel „The Extraordinary Ordinary: Behinderung, Technokörper und die Frage der Autonomie“. Die deutsche Theaterdramaturgin Hannah Hurtzig entwickelte das Konzept mit ihrer „Mobílen Akademie“, die sich mit ihren Veranstaltungen irgendwo zwischen Wissensvermittlung, und Perfomance, zwischen Volkshochschule und Theater bewegt.

Breites Themenspektrum

Auch wenn Behinderung der Schwerpunkt war, die Gesprächsthemen gingen oft weit darüber hinaus. So beispielsweise die Philosophieprofessorin Petra Gehring von der TU Darmstadt. Sie ist Expertin für Theorien über Leben und Tod, Bio- und Sterbeethik, und rechtsphilosophische Fragen. Dem Gespräch mit ihrer Klientin konnte man im Kopfhörer folgen. Darin kritisierte sie nicht nur, wie schnell sich in Ethikdebatten und -kommissionen Wissenschaftler zu Experten hochstilisieren, die von Ethik wenig Ahnung haben. Für sah Ethik auch als Geschäftsmodell für einige Wissenschaftler, ihre Reputation zu heben.

An einem anderen Tisch ging es um Cyborgs und die interessante Überlegung, ob künstliche Gliedmaßen nicht eines Tages sehr viel besser und sogar anderes fühlen könnten, als die natürlichen.

Neue Formate erreichen ein großes Publikum

In der zweimonatigen Vorbereitung hatte das Team um Hannah Hurtzig mit 201 Experten gesprochen: Wissenschaftler, Literaten, Künstler, Journalisten und Behinderte als Experten in eigener Sache. Schade ist jedoch, dass die Wissenschaftlerauswahl vor allem die Gesiteswissenschaftler vorzog. Ein paar mehr Techniker, Techniknerds und Informatiker hätten der Veranstaltung sicherlich noch mehr Substanz geben und Visionen beisteuern können.

Schade auch, dass die Beschreibung des Events reichlich kulturverschwurbelt-eltär daherkam. Die Beschreibung der Veranstaltung im Wortlaut: „Im SCHWARZMARKT FÜR NÜTZLICHES WISSEN UND NICHT-WISSEN bieten 90 Expert*innen in einer maschinisierten Arena, getaktet im Rhythmus administrierter Zeit, im Rausch der Simultanität und Kollektivität, ihr spezifisches Wissen an.“ Und weiter: „Das, was wir ‚Behinderung‘ nennen, hat das Potential, unser gewohntes Denken über Individualität, Normalität, Autonomie und Hilfe herauszufordern. Ungewöhnliche Gefüge von Körpern und Technologien, Kommunikationsformen außerhalb der Norm und gelebte Abhängigkeiten von anderen lassen vielfältige Perspektiven auf das zu, was wir ‚den Menschen‘ nennen.“

Eine solch abgehobene Sprache war nicht dazu angetan, viele Menschen vom Sofa zu locken. Die vielleicht vierhundert oder fünfhundert Besucher dürften somit eher einer hochkulturaffinen Gesellschaftsschicht zuzuordnen sein. Was vielleicht nicht einmal schlecht ist. Haben ihre Vertreter doch hier die Gelegenheit gehabt, wenn auch eingeschränkt, einmal mit Technik und Technikvisionen konfrontiert zu werden.

Alles in allem ist es, wie auch die „Hamburger Weltklimakonferenz 2015“ des Regietrios „Rimini Protokoll“, eines der gelungenen neuen Formate, um Wissen, Bildung und Debatte einem großen Publikum erfolgreich nahezubringen.

Bemerkenswert: Beide Formate haben Theatermacher entwickelt. Vielleicht sollten Wissenschaftskommunikatoren mehr auf deren Expertise setzen, als auf professionelle Moderatoren oder Kommunikationsmanager.

Kohlenstoffbürokrat:
Der Klima-Nerd auf dem Hausboot

Zwei Drittel der wichtigsten Klimagasemissionen entstammen nur 90 Firmen auf der Welt, freigesetzt aus der Verbrennung fossiler Treibstoffe, Methanlecks und der Zementherstellung. Die Unternehmen emittieren die Gase entweder selbst oder ihre Kunden tun es: die Konsumenten und weitere Industrien.

Deepwater Horizon offshore drilling unit on fire 2010
Deepwater Horizon am 20. April 2010 (c) US Coast Guard via Wikimedia Commons

Die Studie erschien bereits 2013 im wissenschaftlichen Peer-Review-Magazin „Climatic Change“. Damals erregte seine Arbeit in Expertenzirkeln einiges Aufsehen.

Wirtschaftsexperten hielten es für unfair, die Produzenten von Produkten an den Pranger zu stellen, die schließlich nur das auf den Markt bringen, wonach Konsumenten und Kunden verlangen.

Umweltrechtler sahen das anders. Für sie wurde durch die Veröffentlichung endlich der Mythos zerstört, das jedermann verantwortlich für die Treibhausgasbelastungen ist – wenn jeder verantwortlich sei, dann ist es keiner.

Der Autor der Studien, der Geograf Richard Heede, formuliert es so: „Als Konsument habe ich eine gewisse Verantwortung für mein Auto, ja. Aber wir leben in einer Illusion, wenn wir glauben, wir hätten eine Wahl. Denn es ist in erster Linie die Infrastruktur, die diese Wahl für uns trifft.“

Dass Heedes Arbeit jetzt wieder im Licht der Öffentlichkeit steht, liegt an einer Vorladung, die er und die großen US-Umweltorganisation vom Lamar Smith erhielten, einem harten Klimaskeptiker und dem Vorsitzender des Komitees für Wissenschaft, Weltraum und Technologie des US-Repräsentantenhauses. Sie steht im Zusammenhang mit einer Klage gegen ExxonMobile, das beschuldigt wird, Zweifel am Klimawandel in der Öffentlichkeit verbreitet zu haben, auch gegen die Überzeugungen der eigenen Wissenschaftler. Smith witterte eine Konspiration zwischen dem Staatsanwalt und den Umweltanwälten. Deshalb forderte von den US-Umweltverbänden die Offenlegung der Korrespondenz und anderer Unterlagen, darunter auch die von Heede.

Heede, in Norwegen geboren, ist ein echter, detailversessener Nerd. Er arbeitet allein in einem gemieteten Hausboot in der San Francisco Bay inmitten von Aktenordner-Stapeln vor zwei Monitoren. In den frühen 2000er Jahren erhielt er einen Vertrag vom Klimagerechtigekeitsprogramm von Greenpeace International in London, um die Klimabilanz von ExxonMobile zu untersuchen. Das dauerte 15 Monate. Greenpeace gab ihm eine Stipendium, um auch die gesamte Fossilindustrie zu untersuchen. Es dauerte acht Jahre, um von überall auf der Welt detaillierte Produktionsdaten zusammenzuklauben. In dieser Zeit endete das Stipendium, sein Beratungsunternehmen ging pleite, er reizte seine Kreditkarte aus, machte Schulden und verlor schließlich sein Haus. Mit kleinen Hilfen und Verträgen hielt er sich über Wasser. Jetzt will er mit seinen Daten, die bis 1751 zurück reichen, ein mathematisches Modell bauen, dass den Einfluss der 90 großen Ölkonzerne in die Zukunft projizieren soll.

Aber der Nerd macht auch kein Hehl daraus, dass er die Ölindustrie bewundert. Er sagte dem Wissenschaftsmagazin „Science“: „Sie haben fantastische Anstrengungen unternommen, um Ressourcen für die Verbesserung der Menschheit zu finden,“ oft unter extremsten Umweltbedingungen. Sie hätten einen so großartigen Job gemacht, dass wir nicht dazu kamen, einmal Pause zu machen und über die unerwünschten Auswirkungen nachzudenken. „Jetzt müssen wir mit dem Resultat umgehen.“

Die ganze Geschichte von Richard Heede, von seiner anfänglichen Wissenschaftlerkarriere bis zu seinem Leben in einfachsten Verhältnissen, von seiner weltweiten Suche nach belastbaren Daten, hat das Wissenschaftsmagazin „Science“ aufgeschrieben. Dort findet sich auch eine animierte Grafik seiner Daten von 1885 bis 1913: http://www.sciencemag.org. Zusatz-Datenmaterial als DOCX-Datei.

Die Homepage von Richard Heedes »Climate Mitigation Services«

Das »Wissenschaftsbarometer« stellt Fragen

Wissenschaft interessiert die Menschen. Dennoch misstrauen sie ihr. Schlimmer noch: Viele fühlen sich von ihr allein gelassen. Forscher reden zu wenig über ihre Arbeit, Bürger dürfen zu wenig mitbestimmen. Das aktuelle »Wissenschaftsbarometer 2016« bleibt zwar oberflächlich, kann aber dennoch ein paar Denkanstöße liefern.

Über das aktuelle »Wissenschaftsbarometer 2016«, Anfang Juli veröffentlicht von Wissenschaft im Dialog, wurde schon einiges geschrieben. Besonders kritisch betrachtet Hanno Charisius in der Süddeutschen die Ergebnisse. Martin Ballaschk dagegen, Blogger bei SciLogs, versucht den Ergebnissen Gutes abzugewinnen – verständlich angesichts seiner Position als Redakteur des Marketing-Magazins »MDC Insights« des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft.

Auf der Suche nach wissenschaftlicher Erkenntnis

Auf der Suche nach wissenschaftlicher Erkenntnis

Vertrauensfrage schön geredet

Der Umfrage zufolge finden 70 Prozent der Befragten, dass Wissenschaft ganz allgemein nützlich ist, zumindest aber nicht schadet. Daraus zu folgern, »dass die Menschen in Deutschland der Wissenschaft überwiegend vertrauen«, wie Bundesforschungsministerin Johanna Wanka in der Pressemitteilung ihres Ministeriums zitiert wird, ist aber denn doch reichlich schön geredet.

Denn zur Vertrauensfrage stand eine ganz andere Aussage zur Wahl: »Die Menschen vertrauen zu sehr der Wissenschaft und nicht genug ihren Gefühlen und dem Glauben«. 38 Prozent stimmten diesem Satz zu, 32 Prozent fanden ihn falsch, der Rest war sich nicht sicher, ob dem so ist. Als Vertrauensbeweis für die Wissenschaft reicht das nun wirklich nicht aus.

Noch skurriler erscheint Wankas Interpretation angesichts der Antworten zu den – leider nur vier – Schwerpunktthemen. Bei den erneuerbaren Energien trauen 53 Prozent den Forschern und Entwicklern – eine nicht besonders überzeugende Mehrheit.

Weit erschreckender ist das Misstrauen gegenüber den Wissenschaftlern, die den Klimawandel erforschen. Immerhin sind sie es, die die wissenschaftlichen Grundlagen für den Ausbau der grünen Energien liefern. Satte 59 Prozent wissen entweder nicht so richtig, was sie von den Erkenntnissen der Klimaforschung halten sollen, oder sie sind sogar äußerst argwöhnisch.

Lichtblick: Das Interesse wächst

Trotz der Ambivalenz in Bezug auf das Vertrauensverhältnis zwischen Bürgern und Wissenschaft ist es immerhin erfreulich, dass sich zunehmend mehr Menschen für Wissenschaft interessieren. Waren es 2014 noch 33 Prozent gewesen, so sind es bei der aktuellen Umfrage immerhin schon 41 Prozent der Befragten – was aber auch bedeutet, dass sich die Mehrheit nicht oder nicht besonders für natur-, sozial- und geisteswissenschaftliche Themen interessiert.

Ganz nebenbei: Es wäre sicherlich sinnvoller gewesen, zwischen industrieller (einschließlich Fraunhofer-Gesellschaft) und universitärer (einschließlich Max-Planck-Gesellschaft) Forschung und Wissenschaft zu unterscheiden. So pauschal, wie das Wissenschaftsbarometer diese beiden Welten über einen Kamm schert, lassen sich auch nur pauschale und wenig wegweisende Erkenntnisse aus den Statements der Umfrage ziehen.

Sprengstoff Beteiligung

Nicht zu verhehlendes Misstrauen gegenüber Wissenschaft, dennoch ein großes Interesse daran. Das enthält Sprengstoff. Die Meinungen zum gesellschaftlichen Fragenkomplex deuten denn auch schon an, wo es schief läuft.

40 Prozent der Befragten wollen sich mehr beteiligen, wenn es um Entscheidungen über Wissenschaft und Forschung geht. 30 Prozent haben noch nicht so richtig darüber nachgedacht. Vermutlich würden sie aber durchaus mehr mitreden, wenn es um Themen ginge, die ihren Alltag betreffen, und wenn sie die Gelegenheit dafür bekämen.

Fast ebenso viele, wie sich mehr Mitspracherecht wünschen, glauben, dass sich die Wissenschaftler zu wenig darum bemühen, die Öffentlichkeit über ihre Arbeit zu informieren, 39 Prozent. Im Klartext heißt das, dass die Wissenschaftskommunikation trotz aller organisatorischen und motivierenden Anstrengungen, trotz enormer finanzieller Aufrüstung in den vergangenen zehn Jahren, es noch immer nicht geschafft hat, alle Menschen mitzunehmen. Die Gründe sind eigentlich klar: Wissenschaftskommunikation passiert noch immer von oben herab und Forscher, die sich in der Wissenschaftskommunikation versuchen, sind oft eher Selbstdarsteller oder Belehrer, die sich wenig für die echten Anliegen ihres Laienpublikums interessieren.

Sei es aus Misstrauen, sei es aus Interesse an der Wissenschaft: 76 Prozent der befragten Bürger sind dagegen, dass Politik und Wirtschaft über die Verwendung von Forschungsmitteln entscheiden. 44 Prozent finden, die Bürger sollten entscheiden, 32 Prozent, dass es die Wissenschaft tun sollte. Der naheliegende Schluss wäre, dass sich Bürger und Wissenschaftler zusammentun, um gemeinsam Forschungsthemen zu entwickeln und sich über die notwendigen Gelder zu einigen. Für die Grundlagenforschung ist das sicherlich keine Bedrohung. Denn eine aufgeklärte Gesellschaft weiß sehr wohl zu schätzen, dass es Forscher gibt, die danach suchen, was die Welt im Innersten zusammen hält. Astrowissenschaften und Teilchenforschung sind Themen, die viele Menschen interessieren.

Mängel des Umfragedesigns

Als wichtigste Forschungsthemen für die Zukunft haben sich vor allem Gesundheit und Ernährung (42 Prozent), aber auch Klima und Energie (35 Prozent) herausgeschält. Schade, dass die vier Themen den Befragten nur als zwei zusammenhängende Themenbereiche präsentiert wurden, der Bereich Mobilität (3 Prozent) aber extra thematisiert wurde.

Damit haben die Entwickler der Umfrage technische mit sozialen und regulatorischen Themen vermischt. Entsprechend wenig aussagekräftig sind denn auch die Ergebnisse – ein eklatanter Mangel des Umfragedesigns.

Eine weitere Chance haben die Designer der Erhebung vertan, als sie dem gesellschaftlich ausgerichteten Themenkomplex den Titel »Wissenschaft in der Gesellschaft« gaben und dabei den komplementären Blickwinkel »Gesellschaft in der Wissenschaft« ignorierten. So reduzierten sie die Aussageblöcke nur auf »Mitentscheidung«. Und das bedeutet ja im Sinne des fälschlicherweise viel gelobten Prinzips von verantwortlicher Forschung und Innovation (RRI): Die Forscher suchen sich ihre eigenen Forschungsgebiete, die sie an den vorgegebenen Förderprogrammen ausrichten, in die Fördermittel je nach politischer Präferenz gelenkt werden. Sind die Projekte definiert, dürfen die Bürger dann unbezahlt beim Feinschliff helfen, was allenfalls marginale Änderungen des Forschungsdesigns bewirkt, wenn überhaupt.

So finden deshalb auch 46 Prozent der Befragten, dass sie nicht genügend in Entscheidungen einbezogen werden, weitere 28 Prozent sind sich unsicher. Schade, dass sie nicht nach ihren ureigenen Anliegen und Problemen befragt wurden, die vielleicht einer wissenschaftlichen Lösung bedürfen.

Das Umfragedesign ist leider in überholten Denkmustern gefangen und nähert sich deshalb kaum den wahren, durchaus auch entschiedenen Meinungen der Befragten. Für die Herausgeber ist das natürlich bequem, denn dadurch lassen die bunten Grafiken reichlich Spielraum für Spekulationen in jede Richtung, wie die Interpretationen von Wanka über Ballaschk bis Charisius zeigen.